Hexenstunde
Brüsten und zog die Schultern hoch, und es fröstelte sie. Sie mußte sich umdrehen, durch das dunkle Haus gehen, zur Haustür und hinaus.
Oh, aber das ging doch nicht; sie mußte jemanden rufen, mußte Bescheid geben, sie mußte diese Eugenia rufen, mußte tun, was getan werden mußte, was recht war.
Aber jetzt mit Fremden zu sprechen, offizielle Lügen zu erzählen – das war eine Qual, die sie nicht ertragen konnte.
Kraftlos ließ sie den Kopf zur Seite fallen. Sie starrte auf den hilflosen Körper hinunter, gebrochen und zusammengesunken in seinem sackförmigen Kleid. Das weiße Haar, so sauber und so weich. Ihr ganzes armseliges, erbärmliches Leben lang in diesem Haus, ihr ganzes tristes, unglückliches Leben lang. Und das ist nun das Ende.
Sie schloß die Augen und hob die Hände müde vors Gesicht, und dann kamen die Gebete doch: Hilf mir, denn ich weiß nicht, was ich tun soll, ich weiß nicht, was ich getan habe, und ich kann es nicht ungeschehen machen. Und alles, was die alte Frau gesagt hat, stimmt, und ich habe es immer gewußt, ich habe gewußt, daß das Böse in mir ist und in ihnen, und daß Ellie mich deshalb weggeholt hat. Das Böse.
Sie sah den schmalen, fahlen Geist hinter der Scheibe in Tiburon. Sie spürte, wie die unsichtbaren Hände sie berührten, genau wie im Flugzeug.
Das Böse.
»Und wo bist du?« fragte sie flüsternd in die Dunkelheit. »Warum sollte ich Angst haben, in dieses Haus zurückzugehen?«
Sie hob den Kopf. Im langgestreckten Salon hinter ihr ertönte wieder ein schwaches, knackendes Geräusch. Wie von einer alten Diele, die unter einem Schritt knarrte. Oder war es nur ein ächzender Deckenbalken? So sacht, daß es eine Ratte im Dunkeln hätte gewesen sein können, die auf ihren winzigen, widerlichen Füßen über die Bodendielen kroch. Aber sie wußte, es war keine Ratte gewesen. Mit all ihren Instinkten fühlte sie, daß dort etwas zugegen war, daß da jemand in der Nähe war, jemand im Dunkeln, jemand im Salon. Nicht die alte schwarze Frau. Nicht das Schlurfen ihrer Pantoffeln.
»Zeige dich mir«, flüsterte sie, und die letzten Reste ihrer Angst verwandelten sich in Zorn. »Sofort.«
Wieder hörte sie es. Und langsam drehte sie sich um. Stille. Noch ein letztes Mal schaute sie auf die tote alte Frau. Und dann betrat sie das lange Vorderzimmer. Die hohen, schmalen Spiegel starrten einander in schattendunkler Stille an. Die verstaubten Kronleuchter sammelten in der Düsternis mürrisch jeden Lichtschimmer ein und zogen ihn an sich.
Ich habe keine Angst vor dir. Vor nichts hier habe ich Angst. Zeige dich, wie du dich schon einmal gezeigt hast.
Die Möbel selbst schienen für einen bedrohlichen Augenblick zum Leben zu erwachen – als ob die kleinen, geschwungenen Stühle sie beobachteten, als ob die Bücherschränke mit den Glastüren ihre unbestimmte Herausforderung vernommen hätten und Zeugnis geben würden für alles, was nun geschähe.
»Warum kommst du nicht?« flüsterte sie laut. »Hast du Angst vor mir?« Leere. Ein dumpfes Knarren irgendwo über ihr.
Mit ruhigen, gleichmäßigen Schritten ging sie in den Flur, und das Geräusch ihres eigenen, mühsamen Atems war ihr schmerzlich bewußt. Benommen starrte sie nach vorn zur offenen Haustür. Milchig das Licht von der Straße, dunkel und glänzend die Blätter der tropfenden Eichen. Ein langer Seufzer entrang ihrer Brust, beinahe ohne daß sie es wollte, und dann wandte sie sich ab und entfernte sich wieder von dem tröstenden Lichtschein, ging zurück durch die Diele, den dichten Schatten entgegen, auf das leere Eßzimmer zu, wo der Smaragd in seiner samtenen Schatulle lag und wartete.
Er war hier. Er mußte hier sein.
»Warum kommst du nicht?« wisperte sie und hörte erstaunt, wie zerbrechlich ihre eigene Stimme klang. Es schien, als rege sich der Schatten, aber keine Gestalt verfestigte sich. Vielleicht hatte ein winziger Lufthauch die staubigen Vorhänge erfaßt. Ein feines, dumpfes Schnappen ertönte in den Dielen unter ihren Füßen.
Dort auf dem Tisch lag die Schmuckschatulle. Wachsgeruch hing in der Luft. Ihre Finger zitterten, als sie den Deckel hob und den Stein berührte.
»Komm schon, du Teufel«, sagte sie. Sie hob den Smaragd, und sein Gewicht erfüllte sie trotz ihres Elends mit undeutlichem Entzücken; sie hob ihn höher, bis das Licht ihn erfaßte, und dann legte sie ihn an. Mühelos hantierte sie mit dem kleinen, starken Verschluß in ihrem Nacken.
Und wie von ferne sah sie sich
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