Hexenstunde
störrisch, drehte sie sich um und raffte den ganzen Schatz zusammen. Sie trug alles in die Porzellankammer und legte es dort in die Schublade, wo die alten Tischtücher vor sich hin geschimmelt hatten, ehe sie weg geworfen worden waren. Der alte Schlüssel steckte noch im Schloß. Sie drehte ihn um und steckte ihn in die Tasche.
Dann ging sie hinaus und überließ das Haus den anderen.
Am Tor blieb sie stehen und drehte sich um. Kein Lüftchen regte sich im Garten. Um sich zu vergewissern, daß sie richtig gesehen hatte, folgte sie dem Weg um die alte Veranda ihrer Mutter herum und daran vorbei bis zur Dienstbotenveranda, die am Speiseraum vorbeiführte.
Stille schien sich um sie herabzusenken. Kein Laut war ihr hierher gefolgt. Das Laub wucherte hoch und dicht über die Balustrade.
»Was hält dich davon ab, mit mir zu sprechen?« flüsterte sie. »Hast du wirklich Angst?«
Nichts regte sich. Die Wärme schien von den Steinplatten unter ihren Füßen emporzusteigen. Winzige Stechfliegen sammelten sich im Schatten. Die großen, schweren Girlandenblumen lehnten sich herüber, ihrem Gesicht entgegen, und ein dumpfes Knistern lenkte ihren Blick langsam in die Tiefen des Gartenstücks, auf ein dunkles Gestrüpp, aus dem eine verirrte, violette Iris sprang, wild und zitternd, die Blüte ein scheußliches Maul. Der Stiel schnappte jetzt zurück, als habe eine Katze, die durch das Gestrüpp schlich, ihn achtlos geknickt.
Rowan starrte hinüber; die Hitze lag schwer auf ihren Lidern, und die Fliegen stiegen empor, so daß sie die rechte Hand hob, um sie fortzuwedeln. Wuchs die Blume tatsächlich?
Nein. Irgend etwas hatte sie beschädigt; der Stiel brach, das war alles. Wie monströs sie aussah, wie riesig – aber das lag nur an ihrer Perspektive. Die Hitze, die Stille, das plötzliche Erscheinen der Männer, die im Augenblick des größten Friedens wie Eindringlinge in ihr Reich eingefallen waren. Nichts, dessen sie sich hätte sicher sein können.
Sie zog ein Taschentuch hervor und betupfte sich die Wangen, und dann ging sie den Weg hinunter zum Tor. Es gab so viel zu tun, so viele reale Dinge zu erledigen. Und Michael würde jetzt gerade aufstehen. Wenn sie sich beeilte, könnten sie zusammen frühstücken.
35
Am Montag morgen fuhren Michael und Rowan zusammen in die Stadt, um sich ihre Führerscheine für Louisiana ausstellen zu lassen. Man durfte hier kein Auto kaufen, wenn man keinen Führerschein dieses Staates vorweisen konnte.
Als sie ihre kalifornischen Führerscheine ablieferten – was sie tun mußten, um die von Louisiana zu bekommen -, war es wie eine endgültige und irgend wie erregende Zeremonie. Als gebe man seinen Staatsbürgerschaftsausweis ab, vielleicht. Michael warf einen Blick zu Rowan hinüber und sah, daß sie verstohlen, aber entzückt lächelte.
Am Abend gingen sie zu einem leichten Essen in die »Desire Oyster Bar«. Es gab ein kochendheißes Gumbo voller Shrimps und Andouille-Wurst und dazu eiskaltes Bier. Die Türen des Lokals zur Bourbon Street standen offen, die Deckenventilatoren bewegten die kühle Luft, und freundlicher, beschwingter Jazz schallte aus der »Mahogany Hall« auf der anderen Straßenseite herüber.
»Das ist der New-Orleans-Sound«, sagte Michael. »Dieser Jazz mit einer richtigen Melodie, mit joie de vivre. Nie ist irgend etwas Dunkles dabei. Eigentlich nie etwas Trauriges. Nicht mal, wenn sie bei einer Beerdigung spielen.«
»Gehen wir spazieren«, sagte sie. »Ich möchte all diese Schmuddelkneipen selber sehen.«
Sie verbrachten den ganzen Abend im Quarter, und schließlich ließen sie die grellbunten Lichter der Bourbon Street hinter sich, gingen vorbei an eleganten Schaufenstern auf der Royal und der Chartres Street und dann zurück zu dem Aussichtspunkt am Fluß auf der anderen Seite des Jackson Square.
Nach diesem langen Spaziergang tat es gut, auf der Bank am Fluß zu sitzen, das dunkle Funkeln des Wassers zu betrachten, die tanzenden Boote, mit Lichtern behängt wie große Hochzeitstorten, die vor den fernen, undeutlichen Konturen des anderen Ufers vorüberglitten.
Fröhlichkeit herrschte unter den Touristen, die hier am Aussichtsplatz kamen und gingen. Leise Gespräche, gelegentlich ausbrechendes Gelächter. Paare umarmten sich im Dunkeln. Ein einsamer Saxophonist spielte ein rauhes, seelenvolles Lied für die Münzen, die ihm die Leute in die Mütze zu seinen Füßen warfen.
Schließlich kehrten sie in das Gedränge der Fußgänger
Weitere Kostenlose Bücher