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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zurück und wühlten sich zu dem schmutzigen alten »Café du Monde«, um dort den berühmten café au lait zu trinken und Doughnuts mit Zucker zu essen. Eine Zeitlang blieben sie in der warmen Luft sitzen, während an den klebrigen kleinen Tischen ringsum andere Gäste kamen und gingen; dann schlängelten sie sich zwischen den Glitzerläden hindurch, die heute den alten French Market erfüllen, den traurigen, anmutigen Häusern der Decatur Street mit ihren schmiedeeisernen Baikonen und den schlanken gußeisernen Pfeilern gegenüber.
    Was für ein außergewöhnliches Gefühl, in der alten Heimatstadt zu sein und Geld in der Tasche zu haben. Zu wissen, daß er diese Häuser kaufen konnte, wie er es sich in seiner Kindheit so verzweifelt und hoffnungslos gewünscht hatte.
    Rowan wirkte aufgekratzt und glücklich und betrachtete neugierig alles um sie herum. Anscheinend bereute sie nichts. Aber es war noch früh…
    Hin und wieder verfiel sie in einen entspannten Redeschwall: ihre dunkle, tastende Stimme bezauberte ihn jedesmal von neuem und lenkte ihn manchmal ab von dem, was sie sagte. Sie fand auch, daß die Menschen hier unglaublich freundlich seien. Sie nahmen sich Zeit bei allem, was sie taten; aber sie waren so völlig frei von Niedertracht, daß es kaum begreiflich war. Und der Akzent der einzelnen Verwandten sei wirklich erstaunlich. Beatrice und Ryan sprachen mit einem Hauch von New York im Tonfall. Louisas Akzent war völlig anders, und der junge Pierce hörte sich auch nicht an wie sein Vater. Bei manchen Wörtern aber klangen alle ein bißchen wie Michael.
    »Das darfst du ihnen nicht sagen, Honey«, ermahnte er sie. »Ich komme von der anderen Seite der Magazine Street, und das wissen sie. Hundertprozentig.«
    »Sie finden dich trotzdem wundervoll«, sagte sie und wischte seine Bemerkung beiseite. »Pierce sagt, du bist ein altmodischer Mann.«
    Er lachte. »Ja, zum Teufel, vielleicht bin ich das.«
    Sie blieben noch lange auf, tranken Bier und plauderten. Die alte Suite war so groß wie eine richtige Wohnung, mit Arbeitszimmer und Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer. Er betrank sich in letzter Zeit überhaupt nicht mehr, und er wußte, daß sie es merkte, aber sie sagte nichts, und das war in Ordnung. Sie redeten über das Haus, und all die Kleinigkeiten, die sie noch vorhatten.
    Ob sie die Klinik vermißte? Ja. Aber das sei im Moment nicht wichtig. Sie habe einen Plan, einen großen Plan für die Zukunft, und den werde sie noch früh genug offenbaren.
    »Aber du willst doch nicht etwa die Medizin aufgeben, oder?«
    »Natürlich nicht«, sagte sie leise und senkte die Stimme ein wenig, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. »Im Gegenteil. Ich sehe die Medizin jetzt in einem völlig anderen Licht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es ist noch zu früh, um es zu erklären. Ich bin selbst nicht sicher. Aber die Frage des Vermächtnisses ändert alles, und je mehr ich über das Vermächtnis erfahre, desto mehr wird sich alles ändern. Ich bin die neue Praktikantin bei Mayfair und Mayfair. Ich studiere das Finanzwesen.« Sie deutete auf die Papiere, die auf dem Tisch lagen. »Und es geht ziemlich gut voran.«
    »Willst du das wirklich?«
    »Michael, alles, was wir im Leben tun, tun wir mit bestimmten Erwartungen. Ich bin mit Geld aufgewachsen. Aber jetzt haben sich die Beträge radikal geändert. Mit Geld wie dem Mayfair-Geld könnte man Forschungsprojekte finanzieren, ganze Laboratorien bauen. Es ist vorstellbar, eine Klinik zu errichten und daneben ein Forschungszentrum, ausschließlich für einen speziellen Bereich der Neurochirurgie.« Sie zuckte die Achseln. »Du verstehst, was ich meine.«
    »Ja, aber wenn du dich damit befassen willst, wirst du nicht mehr im OP stehen, nicht wahr? Du wirst dann Verwaltungsarbeit machen.«
    »Möglich«, sagte sie. »Der springende Punkt ist: Das Vermächtnis ist eine Herausforderung. Ich muß meine Phantasie anstrengen, wie man so schön sagt.«
    Er nickte. »Ich verstehe, was du meinst. Aber werden sie dir keine Schwierigkeiten machen?«
    »Letzten Endes sicher. Aber darauf kommt es nicht an. Wenn ich bereit bin, zu handeln, wird es darauf nicht mehr ankommen. Und ich werde die Veränderungen so reibungslos und taktvoll vornehmen, wie ich kann.«
    »Was für Veränderungen?«
    »Wie gesagt: Es ist noch zu früh. Ich bin noch nicht soweit, daß ich einen großen Plan entwerfen kann. Aber ich denke an ein neurologisches Zentrum, hier in New Orleans, mit der allerbesten

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