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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Unbeherrschtheit gestern abend. Habe ihm ein, zwei Dinge gezeigt. In dieser Richtung kein Anlaß zur Beunruhigung mehr.‹
    Und so geht es weiter«, schloß Aaron, »Seite um Seite, Buch um Buch. Hin und wieder finden sich noch kleine Skizzen und Zeichnungen sowie finanzielle Anmerkungen. Aber im Grunde ist das alles. Ich würde sagen, es sind rund zweiundzwanzig Eintragungen pro Jahr. Einen zusammenhängenden, ganzen Absatz habe ich noch nicht gefunden. Nein, wenn es diese Autobiographie gibt, dann ist sie nicht hier.«
    »Was ist mit dem Speicher – haben Sie Lust, mal raufzugehen?« fragte Rowan.
    »Im Moment nicht. Ich bin gestern abend gestürzt.«
    »Was sagen Sie da?«
    »Auf der Treppe im Hotel. Ich war ungeduldig und habe nicht auf den Aufzug gewartet. Bis auf den ersten Absatz bin ich hinuntergefallen. Aber es hätte schlimmer kommen können.«
    »Aaron, warum haben Sie mir nichts davon erzählt?«
    »Nun, es ist ja noch nicht zu spät dazu. Es war auch nichts weiter Ungewöhnliches dabei; ich kann mich nur nicht erinnern, daß ich einen Fehltritt getan hätte. Aber ich habe mir den Knöchel verstaucht und würde deshalb lieber noch ein wenig warten, ehe ich auf den Dachboden hinaufsteige.«
    Michael merkte, daß Rowan wütend war. Er sah, wie der Zorn ihr Gesicht entstellte.
    »Sie sind gestoßen worden, nicht wahr?« fragte sie leise.
    »Vielleicht«, sagte Aaron.
    »Er schikaniert Sie.«
    »Ich glaube, ja.« Aaron nickte knapp mit dem Kopf. »Er wirft auch gern Juliens Bücher durcheinander, wenn er Gelegenheit dazu hat – was immer dann der Fall zu sein scheint, wenn ich das Zimmer verlasse.«
    »Warum tut er das?«
    »Vielleicht will er Ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber ich möchte mich da nicht gern festlegen. Wie auch immer, vertrauen Sie darauf, daß ich mich zu schützen weiß. Mit der Arbeit hier scheint es ja prächtig voranzugehen.«
    »Völlig problemlos«, sagte Michael, aber seine Stimmung hatte sich verdüstert.
    Nach dem Lunch ging er mit Aaron zum Gartentor.
    »Es macht mir zuviel Spaß, nicht wahr?« fragte er.
    »Selbstverständlich nicht«, sagte Aaron. »Was für eine merkwürdige Äußerung.«
    »Ich wünschte, die Sache würde in Bewegung kommen«, sagte Michael. »Ich glaube, wenn etwas geschieht, werde ich gewinnen. Aber diese Warterei macht mich nervös. Worauf wartet er bloß?«
    »Was ist mit Ihren Händen? Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie ohne Handschuhe gehen würden.«
    »Tu’ ich ja. Ich ziehe sie jeden Tag für zwei Stunden aus. Aber ich kann mich an die Hitze nicht gewöhnen, an dieses sengende Gefühl, selbst wenn ich alles andere blockieren kann. Hören Sie, soll ich Sie zum Hotel begleiten?«
    »Selbstverständlich nicht. Wir sehen uns heute abend dort, wenn Sie Zeit haben für einen Drink.«
    »Ja. Es ist wie ein Traum, der Wirklichkeit wird, nicht wahr?« sagte Michael wehmütig. »Ich meine, für mich.«
    »Nein. Für uns beide«, sagte Aaron.
    »Sie vertrauen mir?«
    »Warum, um alles in der Welt, stellen Sie mir diese Frage?«
    »Glauben Sie, daß ich gewinnen werde? Glauben Sie, daß ich tun werde, was sie von mir wollen?«
    »Was glauben Sie denn?«
    »Ich glaube, daß sie mich liebt und daß es wunderbar werden wird – was immer auch passiert.«
    »Das glaube ich auch.«

 
    34
     
     
    Die Zeit, die ihr allein gehörte, war noch immer der frühe Morgen. Ganz gleich, wie lange sie las, um vier Uhr früh schlug sie die Augen auf. Und ganz gleich, wie früh er zu Bett ging. Michael schlief wie ein Toter bis neun, wenn ihn nicht vorher jemand schüttelte oder anbrüllte.
    Aber das war gut so. Es gab ihr die Ruhefrist, die ihre Seele verlangte. Noch nie hatte sie einen Mann gekannt, der sie so restlos akzeptierte, wie sie war, und trotzdem gab es Augenblicke, da mußte sie ganz für sich allein sein.
    »Ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen«, hatte sie an diesem Morgen geflüstert, und dabei war sie mit dem Finger über die rauhen schwarzen Stoppeln gefahren, die nicht nur sein Kinn, sondern auch seinen Hals bedeckten; sie hatte gewußt, daß er sich nicht rühren würde. »Ja, mein Gewissen und mein Körper brauchen dich. Alles, was ich je sein werde, braucht dich.«
    Sie hatte ihn sogar geküßt, ohne daß er davon aufgewacht war.
    Aber dies nun war die Zeit, die ihr allein gehörte, nun war er ihr aus den Augen und aus dem Sinn.
    Und es war eine so außergewöhnliche Zeit für einen Spaziergang durch die verlassenen Straßen,

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