Hexenstunde
bekannt, denen sie schon auf der Beerdigung begegnet war, und Dutzenden anderen, die sie noch nie gesehen hatte.
Ein tiefschwarzer Kellner mit einem sehr runden Kopf und dem melodischen Akzent von Haiti schenkte Bourbon und Wein in Kristallgläser. Zwei dunkelhäutige Köchinnen in gestärkten Umformen drehten und wendeten die fetten, gepfefferten Shrimps auf dem rauchenden Grill. Die Mayfair-Frauen in ihren weichen, pastellfarbenen Kleidern sahen aus wie Blumen zwischen den Männern in ihren weißen Anzügen, und ein paar Kleinkinder tollten im Gras oder steckten die rosigen Händchen in die Wasserstrahlen des kleinen Springbrunnens in der Mitte des Rasens.
Rowan hatte ein behagliches Plätzchen in einem weißen Liegestuhl unter der größten Magnolie gefunden. Sie nippte an ihrem Bourbon und schüttelte zahllosen Cousins und Cousinen die Hand. Allmählich gefiel ihr der Geschmack dieses Giftes; sie war sogar ein bißchen beschwipst.
Als sie am Vormittag das weiße Hochzeitskleid und den Schleier zum letzten Mal anprobiert hatte, war ihr klar geworden, daß all der Trubel sie in ganz unerwartetem Maße erregte, und sie war dankbar, daß man sie dazu gezwungen hatte.
»Prinzessin für einen Tag«, das würde sie sein. Sie würde ihren Auftritt haben in einem prunkvollen Schauspiel. Selbst der Umstand, daß sie den Smaragd tragen mußte, würde im Grunde keine allzu große Mühe bereiten, zumal er seit jener furchtbaren Nacht sicher in seinem Kästchen geblieben war. Sie war übrigens nie dazu gekommen, Michael von seinem mysteriösen und unwillkommenen Erscheinen zu erzählen. Sie wußte, daß sie es hätte tun sollen, und ein paarmal war sie auch dicht davor gewesen, aber dann hatte sie es doch nicht über sich gebracht.
Außerdem war seither nichts weiter passiert. Keine deformierten Blumen mehr auf ihrem Nachttisch. Die Zeit war nur so dahingeflogen; die Renovierung war in vollem Gange, und auch das Haus in Florida war eingerichtet und bereit für ihre offiziellen Flitterwochen.
Ein weiterer Glücksfall war es, daß Aaron von der Familie vorbehaltlos aufgenommen worden war und jetzt routinemäßig zu jedem Treffen eingeladen wurde. Wenn man Beatrice reden hörte, konnte man glauben, sie habe sich in ihn verliebt; sie zog ihn gnadenlos auf, wegen seiner britischen Junggesellenmanieren und all der rüstigen Witwen unter den Mayfairs. Sie war sogar so weit gegangen, ihn mitzunehmen, als sie mit Agnes Mayfair, einer bildschönen älteren Cousine, deren Mann ein Jahr zuvor gestorben war, ins Konzert ging.
Wie schafft er das bloß? fragte sich Rowan. Aber sie wußte inzwischen, daß Aaron sich Gott im Himmel und den Teufel in der Hölle zum Freund machen konnte. Sogar Lauren, dieser Eisberg von einer Anwältin, schien ihn gern zu haben.
Aaron war überdies ein zuverlässiger Gefährte für Michaels Tante Vivian. Überhaupt sollte jeder so eine Tante Vivian haben, fand Rowan – eine zierliche kleine, puppenhafte Person, die von Liebe und Freundlichkeit nur so übersprudelte und für die jedes Wort von Michael ein Evangelium war. Sie erinnerte Rowan an Millie Dear und Tante Belle, wie Aaron sie in seiner Geschichte beschrieben hatte.
Aber der Umzug war Tante Vivian nicht leichtgefallen. Obwohl die Mayfairs sie mit großer Zuneigung bewirtet hatten, war es ihr unmöglich, mit deren frenetischem Tempo und ihrem energischen Geplauder Schritt zu halten. Heute nachmittag hatte sie darum gebeten, zu Hause bleiben zu dürfen, um die paar Dinge zu ordnen, die sie mitgebracht hatte. Sie bekniete Michael, er möge hinüberfliegen, um in dem Haus in der Liberty Street alles zusammen zu packen; er aber schob es immer wieder hinaus, obgleich er und Rowan wußten, daß diese Reise unvermeidlich war.
Wenn sie Michael mit Tante Viv sah, liebte sie ihn aus einer ganzen Reihe von neuen Gründen: Niemand hätte gütiger oder geduldiger sein können. »Sie ist meine ganze Familie, Rowan«, hatte er einmal gesagt. »Alle anderen sind nicht mehr da. Weißt du, wenn das mit uns beiden nicht passiert wäre, dann wäre ich jetzt in der Talamasca. Dann wäre das meine Familie.«
Gott, wie sehr sie sich wünschte, daß alles gutging! Und der Geist der First Street hielt sich zurück, als wolle auch er, daß alles gutging. Oder hatte ihr Zorn ihn vertrieben? Als die Halskette in ihrem Hotel aufgetaucht war, hatte sie ihn noch Tage später bei sich verflucht.
Die Familie hatte sogar den Gedanken an die Talamasca akzeptiert, obgleich
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