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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Aaron sie beharrlich darüber im unklaren ließ, was sie eigentlich war. Wahrscheinlich wußten sie nicht mehr, als daß Aaron ein gelehrter Weltreisender war, der sich schon immer für die Geschichte der Mayfairs interessiert hatte, weil sie eine alte und vornehme Südstaatenfamilie waren.
    Und ein Gelehrter, der jene atemberaubend schöne Ahnfrau namens Deborah ausgraben konnte, unsterblich gemacht von keinem Geringeren als Rembrandt und zweifelsfrei echt, was der unverwechselbare Mayfair-Smaragd auf ihrem Busen bewies – ein solcher Gelehrter war ganz nach ihrem Geschmack. Sie waren hingerissen von den Bruchstücken ihrer Geschichte, die Aaron ihnen offenbarte. Meine Güte, und sie hatten geglaubt, Julien habe diesen törichten Kram über die Vorfahren aus Schottland erfunden!
    Wenn sie wußten, was vor Jahren zwischen Aaron und Cortland oder Carlotta vorgefallen war, so erwähnten sie es mit keinem Wort. Sie wußten nicht, daß Stuart Townsend ein Mitglied der Talamasca gewesen war; die Entdeckung der mysteriösen Leiche hatte sie völlig ratlos gemacht, und es wurde immer klarer, daß sie Stella für die Verantwortliche hielten.
    »Er ist wahrscheinlich auf einer dieser wüsten Partys am Opium oder an Alkoholvergiftung gestorben, und sie hat ihn einfach in den Teppich gewickelt und dann vergessen.«
    »Vielleicht hat sie ihn auch gewürgt. Wißt ihr noch, was für Partys sie gegeben hat?«
    Es amüsierte Rowan, ihnen zuzuhören, und sie genoß auch ihr unbeschwertes Lachen. Nie drang auch nur die leiseste telepathische Schwingung irgendwelcher Bosheit zu ihr durch. Es waren ihre guten Absichten, die sie spürte, und festliche Fröhlichkeit.
    Aber sie hatten auch Geheimnisse, manche wenigstens, vor allem die Alten. Bei jedem neuen Treffen entdeckte sie stärkere Hinweise darauf. Ja, je näher der Termin der Hochzeit rückte, desto sicherer war sie, daß sich da etwas zusammenbraute.
    Die Alten waren im Haus in der First Street nicht nur erschienen, um ihre Glückwünsche aus zu sprechen oder die Renovierung zu bestaunen. Sie waren neugierig. Sie hatten Angst. Sie hatten Geheimnisse, die sie ihr anvertrauen, vielleicht auch Warnungen, die sie ihr zukommen lassen wollten. Oder sie wollten Fragen stellen. Vielleicht wollten sie auch testen, wie stark ihre Fähigkeiten waren, denn sie besaßen ebenfalls welche. Noch nie war sie mit Menschen zusammen gewesen, die so liebevoll waren und so geschickt darin, ihre negativen Emotionen zu verbergen. Es war eine sonderbare Sache.
    Aber vielleicht war heute der Tag, an dem etwas Ungewöhnliches geschehen würde.
    So viele der Alten waren hier; der Alkohol floß in Strömen, und nach einer Reihe kühler Oktobertage war es jetzt wieder angenehm warm. Der Himmel war von makellosem Porzellanblau, und dick geblähte Wolken zogen rasch vorbei, wie anmutige Galeonen vor dem Passat.
    Sie nahm einen guten Schluck von ihrem Bourbon, genoß das Brennen in der Brust und sah sich nach Michael um.
    Da war er: immer noch, wie schon seit über einer Stunde, in den Klauen der überwältigenden Beatrice und der hinreißend hübschen Gifford, deren Mutter von Lestan Mayfair und deren Vater von Clay Mayfair abstammte und die selbstverständlich Cortlands Enkel Ryan geheiratet hatte.
    Offenbar waren noch andere Mayfair-Linien im Spiel, aber an dieser Stelle der Unterhaltung war Rowan von jemandem weggeholt worden. Der Anblick von Giffords bleichen Fingern, die sich – ohne guten Grund – um Michaels Arm krallten, hatte ihr Blut zum Kochen gebracht.
    Was fanden sie denn so faszinierend an ihrem Herzensbrecher, daß sie ihn nicht mehr aus den Fängen lassen wollten? Und wieso war Gifford eigentlich überhaupt so nervös? Der arme Michael. Er war völlig ahnungslos. Er saß da, die behandschuhten Hände in den Taschen, und lächelte über ihre kleinen Scherze. Er merkte nichts von dem flirtenden Beiklang ihrer Gebärden, sah nicht die flammenden Funken in ihren Augen, spürte nichts vom höchst verführerischen Perlen ihres Lachens.
    Du wirst dich daran gewöhnen müssen. Kultivierte Frauen finden diesen Hundesohn unwiderstehlich. Sie sind ihm jetzt alle auf der Fährte. Er ist der Bodyguard, der Dickens liest. Und mit seinem neuen weißen Leinenanzug mit der Weste sah er nur noch verführerischer aus (»Ich soll mich anziehen wie ein Eismann?«); Beatrice hatte ihn zu Perus geschleift, wo er ihn hatte kaufen müssen. »Darling, du bist jetzt ein Südstaaten-Gentleman!«
    Ein Gedicht, das war er.

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