Hexenstunde
Medical.
Es sei ihr entscheidend wichtig, hatte sie in der vergangenen Woche Bea und Cecilia erklärt, daß das medizinische Zentrum einen Bedarf befriedige, den andere außer acht ließen. Eine ideale Umgebung für die Forschung sollte es sein, jawohl – das war unerläßlich, aber ein Elfenbeinturm würde es deshalb nicht werden. Es sollte ein richtiges Krankenhaus sein, und ein großer Teil der Betten sollte für mittellose Patienten zur Verfügung stehen. Wenn sie die besten Neurologen und Neurochirurgen des Landes zusammenbekäme und mit ihnen das modernste, effektivste und bestausgerüstetste Zentrum für die Behandlung neurologischer Probleme gründen könnte, dann würde ein Traum für sie Wirklichkeit.
Und jeden Tag gewann ihre Vision neuen Schwung. Sie träumte von einem humanen und fortschrittlichen Unterrichtsprogramm; sie plante eine Schwesternschule, in der ein neuer Typus von Superschwester geschaffen würde, die imstande wäre, ein ganzes Spektrum neuer Verantwortlichkeiten zu übernehmen.
Der Name »Mayfair Medical« könnte zum Synonym für die besten, humansten und sensibelsten Vertreter ihres Berufes werden.
Ja, sie würden alle stolz sein. Wie könnte es anders sein?
»Noch einen Schluck?«
»Ja, danke. Der Bourbon ist gut.«
Bourbon war besser, wenn er kalt war. Aber er war auch heimtückisch, wenn er kalt war. Und sie wußte, daß sie ein kleines bißchen zuviel davon trank. Sie nippte wieder kurz an ihrem Drink, um einen Toast von der anderen Seite des Gartens zu erwidern. Einer nach dem anderen trank auf das Haus und auf die Hochzeit. Sprach überhaupt noch jemand von irgend etwas anderem?
»Rowan, ich habe Photos von ganz früher…«
»…und meine Mutter hat alle Zeitungsausschnitte aufbewahrt…«
»Weißt du, es steht in den Büchern über New Orleans, o ja, und ich habe ein paar von den ganz seltenen Büchern; ich kann sie dir gelegentlich ins Hotel bringen…«
»… ein Packen Daguerreotypien… Katherine und Darcy, und Julien. Weißt du, Julien wurde immer nur vor der Haustür photographiert. Ich habe sieben verschiedene Bilder von ihm, und immer vor der Haustür…«
Die Haustür?
Immer neue Mayfairs strömten herein. Und da endlich war auch der alte Fielding – Clays Sohn -, restlos kahl, mit feiner, durchscheinender Haut und rotgeränderten Augen. Man führte ihn zu ihr, damit er neben ihr sitzen konnte. Kaum hatte er sich auf den Stuhl sinken lassen, da erschienen die jungen Leute, um ihm ihre Reverenz zu erweisen, wie sie es zuvor bei Rowan getan hatten.
Hercules, der haitianische Diener, drückte dem alten Mann ein Bourbonglas in die Hand.
»Haben Sie’s, Mr. Fielding?«
»Ja, Hercules, aber nichts zu essen! Ich hab’ das Essen satt. Ich habe für mein Leben genug gegessen.«
Seine Stimme war tief und alterslos, wie es auch die Stimme der alten Frau gewesen war.
»Also keine Carlotta mehr«, sagte er grimmig zu Beatrice, die gekommen war, um ihm einen Kuß zu geben. »Und ich bin der einzige Alte, der noch übrig ist.«
»Sprich nicht so; du wirst ewig bei uns bleiben«, sagte Bea, und ihr Parfüm umwehte sie alle, süß und blumig und teuer wie ihr leuchtend rotes Seidenkleid.
Fielding wandte sich an Rowan. »Du restaurierst also jetzt die First Street. Du und dein Mann da, ihr wollt dort wohnen. Und bis jetzt ist alles gutgegangen?«
»Warum sollte es nicht?« fragte Rowan mit sanftem Lächeln.
Aber unversehens wärmte sie der Segen, den Fielding ihr spendete, als er seine Hand auf die ihre legte.
»Eine prachtvolle Neuigkeit, Rowan«, sagte er, und seine leise Stimme gewann an Fülle, als er jetzt nach der langen Odyssee von der Haustür hierher wieder zu Atem kam. »Eine prachtvolle Neuigkeit.« Seine Augen rings um die Iris waren gelb, aber seine falschen Zähne strahlten hellweiß. »All die Jahre hat sie es von niemanden anrühren lassen«, sagte er mit einem Anflug von Zorn. »Eine alte Hexe, das war sie.«
Die Gruppe der Frauen zur Linken schnappte leise nach Luft. Ah, aber genauso wünschte Rowan es sich. Die polierte Oberfläche sollte durchbrochen werden.
»Granddaddy, um Himmels willen.« Das war Gifford an seiner Seite. Sie hob seinen Spazierstock auf, der ins Gras gefallen war, und hängte ihn an die Stuhllehne. Er ignorierte sie.
»Na, aber es ist wahr«, beharrte er. »Sie hat es zur Ruine verkommen lassen! Es ist ein Wunder, daß es sich überhaupt noch restaurieren läßt.«
»Granddaddy«, wiederholte Gifford fast
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