Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
seine Füße den Boden der Diele berühren, als er auf uns zukam. Da stand er dann, so real wie jeder von euch hier, und er schaute uns alle nacheinander an.« Wieder hob er sein Glas, trank einen Schluck und ließ es sinken, und sein Blick wanderte über die kleine Versammlung. Er seufzte. »Und dann verschwand er, genau wie immer. Wieder die Hitze. Rauchgeruch, und der Wind, der durch das Haus pfiff und die Vorhänge von den Fenstern riß. Aber er war weg. Er konnte sich nicht halten. Und wir waren nicht stark genug, um ihm zu helfen. Wir dreizehn – ja, die dreizehn Hexen, wie Stella sagte. Aber wir waren nicht vom gleichen Kaliber wie Julien oder Mary Beth oder auch wie die alte Grandmère Marguerite in Riverbend. Wir schafften es nicht. Und Carlotta… Carlotta, die stärker war als Stella – und glaubt mir, das war sie – Carlotta wollte nicht helfen. Sie lag oben auf ihrem Bett und starrte an die Decke, und sie betete laut den Rosenkranz, und nach jedem Ave-Maria sagte sie: Schicke ihn zurück in die Hölle, schicke ihn zurück in die Hölle – und dann kam das nächste Ave-Maria.«
    Er spitzte die Lippen und starrte stirnrunzelnd in sein leeres Glas; er schüttelte es, daß die Eiswürfel darin lautlos kreisten. Dann ließ er seinen Blick wieder durch die Runde wandern, und er schaute alle nacheinander an, sogar die kleine Mona.
    »Zur allgemeinen Information. Peter Mayfair hat ihn gesehen«, erklärte er, und er straffte sich und hob die Brauen. »Lauren und Lily können für sich selbst sprechen. Randall desgleichen. Aber ich erkläre hiermit: Ich habe ihn gesehen, und das könnt ihr euren Enkelkindern erzählen.«
    Wieder trat Stille ein. Die Dunkelheit nahm zu, und aus der Ferne hörte man das mahlende Singen der Zikaden. Kein Lüftchen regte sich im Garten. Das Haus war jetzt erfüllt von gelbem Licht, das aus all den vielen kleinen, hübschen Fenstern leuchtete.
    »Ja«, sagte Lily seufzend. »Ebenso gut kannst du es auch wissen, Liebes.« Sie sah Rowan an und lächelte. »Es gibt ihn. Und wir haben ihn alle schon viele Male gesehen. Auf der alten Veranda, hinter dem Fliegengitter, bei Deirdre.« Sie blickte zu Lauren. »Wir haben ihn gesehen, wenn wir am Haus vorbeikamen. Manchmal haben wir ihn auch gesehen, wenn wir ihn nicht sehen wollten.«
    »Laß dich nicht von ihnen aus dem Haus vertreiben«, sagte Magdalene hastig.
    »Nein, das sollst du wirklich nicht«, fügte Felice hinzu. »Und wenn du meinen Rat hören willst: Vergiß die Legenden. Vergiß den alten Unsinn über dreizehn Hexen und die Tür. Und vergiß ihn! Er ist nur ein Geist, weiter nichts. Vielleicht findest du, das klingt merkwürdig, aber in Wirklichkeit ist es das nicht.«
    »Er kann dir nichts tun«, sagte Lauren mit spöttisch verzogenem Mund.
    »Nein, das kann er nicht«, bestätigte Felice. »Er ist wie der Wind.«
    »Und wer weiß?« sagte Cecilia. »Vielleicht ist er gar nicht mehr da.«
    Alle starrten sie an.
    »Na, es hat ihn niemand mehr gesehen, seit Deirdre tot ist.«
    Eine Tür fiel zu. Es klirrte, Glas brach, und am äußeren Rand des Kreises wurde es unruhig. Die Leute schoben einander, traten beiseite. Gifford drängte sich bis in die Mitte; ihr Gesicht war naß und fleckig, und ihre Hände zitterten.
    »Er kann nichts tun! Kann niemandem etwas tun! Wollt ihr ihr das weismachen? Er kann nichts tun! Er hat Cortland umgebracht – das hat er getan! Nachdem Cortland deine Mutter vergewaltigt hatte! Wußtest du das, Rowan?«
    »Still, Gifford!« donnerte Fielding.
    »Cortland war dein Vater!« kreischte Gifford. »Zum Teufel damit – er kann nichts tun! Du mußt ihn austreiben, Rowan! Du mußt deine Macht gegen ihn richten und ihn austreiben! Einen Exorzismus vornehmen! Das Haus niederbrennen, wenn es sein muß… Brenne es nieder!«
    Aus allen Richtungen kamen Protestrufe und unbestimmte Äußerungen der Verachtung oder der Empörung. Ryan war jetzt auch erschienen, und er versuchte von neuem, Gifford zu bändigen. Sie fuhr herum und schlug ihm ins Gesicht. Alles schrie auf. Pierce war offensichtlich starr vor Scham und völlig hilflos.
    Lily sprang auf und lief davon; Felice folgte ihr und wäre in ihrer Hast beinahe gefallen. Anne Marie rappelte sich hoch und half Felice. Aber alle anderen blieben stehen, auch Ryan, der sich nur mit dem Taschentuch das Gesicht abwischte, wie um seine Fassung wiederzugewinnen, während Gifford mit geballten Fäusten und zitternden Lippen dastand. Beatrice hätte verzweifelt gern

Weitere Kostenlose Bücher