Hexenstunde
nach den Frauen Ausschau. Er sah sie selten. Aber es war natürlich eine große Pfarrgemeinde. Sie konnten in die andere Kirche gegangen sein oder in die kleine Kapelle für die Reichen drüben im Garden District.
Aber Miss Carlottas Schecks kamen weiterhin. Das wußte er. Pater Lafferty, der die Bücher für die Gemeinde führte, zeigte ihm vor Weihnachten einen – über zweitausend Dollar – und bemerkte leise, daß Carlotta Mayfair ihr Geld dazu benutze, die Welt ringsum hübsch ruhig zu halten.
»Die Schule in Boston hat die kleine Nichte wieder nach Hause geschickt; vermutlich haben Sie davon gehört.«
Pater Mattingly verneinte. Er blieb in der Tür zu Pater Laffertys Büro stehen und wartete ab…
»Na, ich dachte, Sie verstehen sich so famos mit den Damen«, sagte Pater Lafferty. Er war ein freimütiger, offener Mann, der mit seinen sechzig Jahren älter aussah, als er war; Klatsch war seine Sache nicht.
»Ich habe sie nur ein- oder zweimal besucht«, sagte Pater Mattingly.
»Jetzt heißt es, die kleine Deirdre kränkelt«, berichtete Pater Lafferty. Er legte den Scheck auf die grüne Löschpapierunterlage auf seinem Schreibtisch und betrachtete ihn. »Kann nicht mehr in eine reguläre Schule gehen, sondern muß daheim von einer Privatlehrerin unterrichtet werden.«
»Traurige Sache.«
»Anscheinend. Aber niemand wird einen Zweifel äußern. Niemand wird hingehen und sich vergewissern, daß das Kind wirklich einen ordentlichen Unterricht bekommt.«
»Sie haben Geld genug…«
»In der Tat – genug, um für Ruhe zu sorgen, und das haben sie immer getan. Die könnten sogar mit einem Mord davonkommen.«
»Glauben Sie?«
Pater Lafferty schien eine kurze Debatte mit sich selbst zu führen. Immer wieder schaute er auf Carlotta Mayfairs Scheck.
»Von der Pistolengeschichte haben Sie gehört, nehme ich an«, sagte er schließlich, »als Lionel Mayfair seine Schwester Stella erschoß? War dafür nicht einen einzigen Tag im Gefängnis. Miss Carlotta hat alles geregelt. Und Mr. Cortland, Juliens Sohn. Zusammen hätten die beiden so gut wie alles regeln können. Da würde hier niemand Fragen stellen.«
»Aber wie, um alles in der Welt, haben sie denn…?«
»Mit der Irrenanstalt natürlich, und da hat Lionel sich das Leben genommen. Obwohl kein Mensch weiß, wie, denn er steckte in einer Zwangsjacke.«
»Das ist nicht Ihr Ernst.«
Pater Lafferty nickte. »Doch, natürlich. Und wieder wurden keine Fragen gestellt. Totenmesse wie immer. Und dann kam die kleine Antha daher. Stellas Tochter, wissen Sie – weinend, schreiend: Miss Carlotta sei es gewesen, die Lionel gezwungen habe, ihre Mutter zu ermorden. Wir haben’s alle gehört.«
Pater Mattingly hörte schweigend zu.
»Die kleine Antha sagte, sie traue sich nicht mehr nach Hause. Aus lauter Angst vor Miss Carlotta. Miss Carlotta, erzählte sie, habe zu Lionel gesagt: ›Du bist kein Mann, wenn du diesen Vorgängen kein Ende machst.‹ Sie habe ihm sogar die achtunddreißiger Pistole gegeben, mit der er Stella erschossen habe. Man möchte meinen, daß daraufhin jemand ein paar Fragen zu stellen gehabt hätte. Aber nicht der Pastor. Der griff nur zum Telephon und rief Miss Carlotta an. Ein paar Minuten später kommt eine große schwarze Limousine und holt Antha ab.«
Pater Mattingly starrte den kleinen dünnen Mann hinter dem Schreibtisch an. Auch ich habe keine Fragen gestellt.
»Der Pastor sagte später, die Kleine sei wahnsinnig. Sie erzähle den anderen Kindern, sie könne durch eine Mauer hören, was Menschen sagten, und sie könne ihre Gedanken lesen. Er meinte, sie werde sich schon wieder beruhigen; Stellas Tod habe sie verrückt gemacht.«
»Aber es wurde noch schlimmer?«
»Sprang mit zwanzig aus dem Speicherfenster, und das war’s. Wieder keine Fragen. Sie war nicht bei Sinnen, und außerdem war sie ja noch ein Kind. Totenmesse wie gewöhnlich.«
Pater Lafferty drehte den Scheck um und drückte mit dem Gummistempel das Pfarrsiegel auf die Rückseite.
»Wollen Sie damit sagen, Pater, daß ich die Mayfairs besuchen soll?«
»Nein, Pater, das will ich damit nicht sagen. Ich weiß nicht, was ich sagen will, wenn ich ehrlich sein soll. Aber ich wünschte inzwischen, Miss Carlotta hätte das Kind weggegeben, raus aus diesem Haus. Es gibt zu viele schlechte Erinnerungen unter diesem Dach. Es ist kein Ort mehr für ein Kind.«
Mit zehn Jahren lief Deirdre Mayfair von daheim weg; zwei Tage später fand man sie, als sie im Regen am
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