Hexenstunde
ihrer Schritte beobachteten und sie abends einsperrten und sie trotzdem ins French Quarter runterlief und mit den Dichtern und Schriftstellern trank – in ihrem Alter, wohlgemerkt – und versuchte, deren Aufmerksamkeit für ihre Arbeit zu wecken. Ich will Ihnen ein seltsames Geheimnis verraten, Pater: Noch Monate nach ihrem Tod kamen Briefe für sie, Manuskripte von Leuten in New York, denen sie sie geschickt hatte. Was für eine Qual für Miss Carlotta, wenn der Postbote ihr Erinnerungen an so viel Schmerz und Leid brachte, wenn er am Tor klingelte.«
Auf dem Weg zurück ins Pfarrhaus ging Pater Mattingly an der Kirche vorbei. Lange stand er in der stillen Sakristei und schaute durch die Tür zum Hochaltar hinüber.
Eine schmutzige Vergangenheit konnte er den Mayfairs leicht vergeben. Unwissend waren sie auf die Welt gekommen, wie jeder andere Mensch. Aber einem kleinen Mädchen den Kopf zu verdrehen mit Lügen vom Teufel, der eine Mutter in den Selbstmord getrieben haben sollte? Doch es gab nichts, absolut nichts, was Pater Mattingly hätte tun können, außer für Deirdre zu beten, wie er jetzt für sie betete.
Deirdre wurde kurz vor Weihnachten von der Privatschule St. Margaret verwiesen, und ihre Tanten verfrachteten sie auf eine Privatschule im Norden.
Kurz darauf hatte er gehört, daß sie wieder zu Hause sei, kränklich, und daß sie von einer privaten Gouvernante unterrichtet werde, und einmal hatte er sie kurz in der überfüllten Kirche während der Zehn-Uhr-Messe gesehen. Sie war nicht zur Kommunion gegangen, aber sie hatte bei ihren Tanten im Betstuhl gesessen.
Stück für Stück erfuhr er immer mehr über die Geschichte der Mayfairs. Anscheinend wußte jeder in der Pfarrgemeinde, daß er in ihrem Haus gewesen war. Über den Küchentisch hinweg griff Grandma Lucy O’Hara nach seiner Hand. »Wie ich höre, haben sie Deirdre Mayfair weggeschickt, und Sie waren ihretwegen in dem Haus; stimmt das, Pater?« Was um alles in der Welt konnte er da sagen? Also hörte er zu.
»Ich kenne die Familie ja. Mary Beth, sie war die Grande Dame. Konnte einem genau erzählen, wie es damals auf der alten Pflanzung gewesen war. War da geboren, gleich nach dem Bürgerkrieg, und kam erst um 1880 nach New Orleans, mit ihrem Onkel Julien. Der war auch so ein alter Südstaaten-Gentleman. Ich weiß noch, wie Mr. Julien mit seinem Pferd die St. Charles Avenue heraufgeritten kam; er war der stattlichste alte Herr, den ich je gesehen habe. Und es war ein richtiges, großes altes Pflanzerhaus in Riverbend, hieß es; Bilder davon waren in den Büchern, noch als es schon baufällig war. Mr. Julien und Miss Mary Beth taten, was sie konnten, um es zu retten. Aber den Fluß kann man nicht aufhalten, wenn der Fluß sich vorgenommen hat, ein Haus zu fressen.
Sie war ‘ne wahre Schönheit, Mary Beth – dunkel und wild, nicht so zart wie Stella – oder reizlos wie Miss Carlotta -, und Antha, hieß es, war auch ‘ne Schönheit, obwohl ich sie ja nie zu sehen gekriegt habe, und auch das arme Baby Deirdre nicht. Aber Stella war wirklich ‘ne echte Voodoo-Queen. Ja, ich meine Stella, Pater. Stella kannte die Pulver, die Tränke, die Zeremonien. Sie konnte einem das Schicksal aus den Karten lesen. Hat sie für meinen Enkel Sean gemacht; hätte vor Schrecken fast den Verstand verloren, als er hörte, was sie ihm alles erzählte. Das war auf einer dieser wilden Partys oben in der First Street, wo sie verbotenen Whiskey tranken und eine Tanzkapelle im Wohnzimmer hatten. Mein Billy gefiel ihr, das kann man sagen.« Sie wies unvermittelt auf die verblichene Photographie auf dem Sekretär. »Ist im Krieg gefallen. Ich hab’ zu ihm gesagt: ›Billy, hör auf mich. Bleib weg von diesen Mayfair-Frauen.‹ Ihr gefielen all die gutaussehenden jungen Männer. Deshalb brachte sie ihr Bruder ja auch um. An einem klaren Tag konnte sie Wolken am Himmel aufziehen lassen. Das ist die Wahrheit vor Gott, Pater. Sie erschreckte die Schwestern von St. Alphonsus immer damit, daß sie über dem Garten so ein Unwetter heraufziehen ließ. Und in der Nacht, als sie starb, da hätten Sie mal den Sturm sehen sollen, der um das Haus tobte. Es hieß ja, jedes einzelne Fenster sei zerbrochen. Regen und Wind wie in einem Hurrikan ringsherum. Stella machte, daß der Himmel um sie weinte.«
Pater Mattingly besuchte die Mayfairs nicht mehr. Er wagte es nicht. Er wollte nicht, daß das Kind dachte – falls es da war -, er würde sie verraten. In der Messe hielt er
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