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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nicht mehr erforderlich war, und ich wollte durch dringen und sammeln und an mich bringen, was jetzt war wie ich.
    Aber Suzannes Geist zog an mir vorbei. Er nahm von mir so wenig Notiz wie von seiner brennenden Hülle im Feuer. Aufwärts verschwand er, weg von mir und über mich hinaus, und Suzanne gab es nicht mehr.
    Wer bin ich? Ich bin Lasher, der sich über die ganze Welt ausbreitete, durchzogen vom Schmerz über den Verlust meiner Suzanne. Ich bin Lasher, der sich zusammenzog und seine Macht zu Armen formte und das Dorf Donnelaith verwüstete. Ich jagte den Hexenrichter über die Felder, ließ Steine auf ihn niederprasseln. Niemand war übrig, Bericht zu erstatten, als ich mit ihnen fertig war. Und meine Deborah war mit Petyr van Abel gegangen, zu Seide und Satin, zu Smaragden, zu Männern, die ihr Bild malen würden. Ich bin Lasher, der um die Einfältige trauerte und ihre Asche in die vier Winde streute.
    In diesen zwanzig Tagen lernte ich mehr als in all den Äonen, da ich zusah, wie Sterbliche auf dem Antlitz der Erde wuchsen wie eine Rasse von Insekten, wie Geist der Materie entsprang und doch darin verhaftet war, bedeutungslos wie eine Motte, deren Flügel an die Wand genagelt ist.
    Wer bin ich? Ich bin Lasher, der herunterkam, um zu Füßen Deborahs zu sitzen und zu lernen, Ziele zu haben und sie zu erreichen, den Willen Deborahs in Vollkommenheit zu tun, auf daß Deborah niemals leiden müßte – Lasher, der sich bemühte und versagte.
    Wende dich ab von mir. Tu’s nur. Zeit ist nichts. Ich werde auf eine andere warten, die kommen wird und die so stark sein wird wie du. Menschen ändern sich. Ihre Träume sind erfüllt von den Vorahnungen dieser Veränderungen. Höre nur, was Michael sagt. Michael weiß es. Sterbliche träumen unaufhörlich von Unsterblichkeit, und ihr Leben wird immer länger. Sie träumen vom ungehinderten Fliegen. Und es wird einer kommen, der die Barrieren zwischen dem Fleischlichen und dem Stofflosen durchbricht. Und ich werde es sein, der durchkommt. Ich will es zu sehr, weißt du, als daß es scheitern könnte, und ich bin zu geduldig, zu schlau in dem, was ich gelernt habe, und zu stark.
    Weiche nur zurück vor mir. Fürchte mich. Ich warte. Ich werde deinem kostbaren Michael nichts tun. Aber er kann dich nicht lieben, wie ich es kann, denn er kann dich nicht kennen, wie ich dich kenne.
    Ich kenne das Innere deines Körpers und deines Gehirns, Rowan. Ich werde Fleisch werden, Rowan, verschmolzen mit dem Fleisch und übermenschlich im Fleisch. Und wenn das erst geschehen ist, welche Metamorphose mag dann auf dich warten, Rowan? Bedenke, was ich sage.
    Ich sehe es, Rowan. Wie ich es immer gesehen habe – daß die dreizehnte stark genug sein würde, die Tür zu öffnen. Was ich nicht sehe, ist, wie ich existieren kann ohne deine Liebe.
    Denn ich habe dich immer geliebt. Ich habe den Teil deiner selbst geliebt, der existierte in den Jahren vor dir. Ich habe dich in Petyr van Abel geliebt, der von allen am meisten wie du war. Ich habe dich sogar in meiner süßen, verkrüppelten Deirdre geliebt, die ohnmächtig träumte von dir.«
    Schweigen.
     
    Seit einer Stunde war kein Geräusch zu hören, war keine Bewegung in der Luft. Nur das Haus, und draußen die Winterkälte, scharf und windstill und sauber.
    Eugenia war fort. Wieder klingelte das Telephon durch die Leere.
    Sie saß im Eßzimmer, die Arme auf den blanken Tisch gestützt, und betrachtete das Skelett der Myrte, das blattlos glänzend am blauen Himmel kratzte.
    Endlich stand sie auf. Sie zog die rote Wolljacke an, schloß die Haustür hinter sich ab, ging zum Tor hinaus und die Straße hinauf.
    Die kalte Luft fühlte sich gut und reinigend an. Die Blätter der Eichen waren mit dem Nahen des Winters dunkler geworden, sie waren geschrumpft, aber immer noch grün.
    Sie bog in die St. Charles Avenue ein und ging zum »Pontchartrain Hotel«.
    In der kleinen Bar saß Aaron schon an einem Tisch und wartete; er hatte ein Glas Wein vor sich, sein ledernes Notizbuch aufgeklappt, einen Stift in der Hand.
    Sie blieb vor ihm stehen, und es entging ihr nicht, daß er überrascht war, als er aufblickte. War ihr Haar zerzaust? Sah sie erschöpft aus?
    »Er weiß alles, was ich denke, was ich fühle, was ich zu sagen habe.«
    »Nein, das ist unmöglich«, sagte Aaron. »Setzen Sie sich. Erzählen Sie’s mir.«
    »Ich kann ihn nicht beherrschen. Ich kann ihn nicht vertreiben. Ich glaube – ich glaube, ich liebe ihn«, flüsterte sie. »Er

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