Hexenstunde
Holzrahmen hing. Keine Antwort, als er ihren Namen flüsterte: »Deirdre.«
Um den Hals trug sie einen Smaragd an einer Kette, einen wunderschönen Stein, und an ihrem Finger steckte ein Rubinring. War das der Schmuck, von dem er gehört hatte? Wie unpassend er aussah an dieser stummen Frau in ihrem ungestärkten weißen Hemd. Sie ließ nicht erkennen, daß sie ihn hörte oder sah.
»Ihr Verstand ist weg«, sagte Nancy mit bitterem Lächeln. »Die Elektroschocks haben zuerst ihr Gedächtnis ausgelöscht. Dann alles andere. Sie könnte nicht aufstehen und sich in Sicherheit bringen, wenn das Haus in hellen Flammen stände. Ab und zu ringt sie die Hände, versucht, etwas zu sagen, aber sie kann nicht…«
»Still!« flüsterte Millie mit leisem Kopfschütteln und verzog dabei den Mund, als verstoße es gegen den guten Geschmack, darüber zu sprechen. Sie war alt geworden. Miss Millie, alt und wunderschön grauhaarig, und zierlich wie Miss Belle, die längst dahingegangen war. »Noch etwas Kaffee, Pater?«
Aber es war eine hübsche Frau, die auf dem Stuhl draußen auf der Veranda saß. Die Schockbehandlungen hatten ihr Haar nicht ergrauen lassen. Und ihre Augen waren immer noch von tiefem Blau, auch wenn ihr Blick völlig leer war. Wie eine Statue in der Kirche sah sie aus. Pater, helfen Sie mir. Der Smaragd fing das Licht ein, explodierte wie ein winziger Stern.
Danach kam Pater Mattingly nicht mehr oft in den Süden, und wenn er in den folgenden Jahren an der Haustür läutete, war er nicht mehr willkommen. Es gab keinen Kaffee im Wintergarten mehr – nur noch ein paar kurze Worte in dem riesigen, staubigen Wohnzimmer. Ob sie hier nie mehr das Licht einschalteten? Die Kronleuchter waren verdreckt.
Natürlich wurden die Frauen allmählich ziemlich alt. Millie starb 1979. Es war eine große Beerdigung gewesen, und aus dem ganzen Land waren Verwandte gekommen.
Im letzten Jahr war Nancy gestorben. Pater Mattingly war gerade in Baton Rouge gewesen und war nur zur Beerdigung hinuntergefahren.
Miss Carl war weit über achtzig und dürr wie ein Skelett. Sie hatte eine Adlernase, weißes Haar und eine dicke Brille, die ihre Augen unangenehm vergrößerte. Über den Rand der schwarzen Schnürschuhe quollen geschwollene Knöchel. Während der Zeremonie auf dem Friedhof mußte sie sich auf einen Grabstein setzen.
Mit dem Haus selbst ging es kläglich bergab. Das hatte Pater Mattingly mit eigenen Augen gesehen, als er vorbeigefahren war.
Auch Deirdre hatte sich selbstverständlich verändert. Er sah, daß ihre verletzliche Treibhausschönheit nun doch dahin war. Trotz der Krankenschwestern, die mit ihr auf und ab gingen, war sie jetzt zusammengefallen, und ihre Handgelenke waren nach auswärts gekrümmt wie bei einer Arthritiskranken. Es hieß, ihr Kopf hänge jetzt dauernd schief und ihr Mund stehe immer offen.
Es war ein trauriger Anblick, selbst aus der Ferne. Und die Juwelen machten es nur noch gespenstischer. Diamantohrringe an einer besinnungslosen Invalidin. Ein Smaragd, so groß wie ein Daumennagel! Und Pater Mattingly, der an nichts mehr als an die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens glaubte, fand, daß für Deirdre der Tod ein Segen gewesen wäre.
Am Nachmittag nach der Beerdigung, als er dem alten Anwesen in aller Stille einen Besuch abstattete, traf er einen Engländer, der am hinteren Ende des Zauns stand – einen sehr gutaussehenden Mann, der sich als Aaron Lightner vorstellte.
»Wissen Sie etwas über diese arme Frau?« fragte Lightner ganz offen. »Seit zehn Jahren sehe ich sie da auf der Veranda sitzen. Wissen Sie, ich mache mir Sorgen um sie.«
»Ich auch«, bekannte Pater Mattingly. »Aber sie sagen, niemand könne etwas für sie tun.«
»Eine so merkwürdige Familie«, sagte der Engländer mitfühlend. »Es ist so heiß. Ich frage mich, ob sie die Hitze nicht spürt? Man sollte doch erwarten, daß sie den Deckenventilator reparieren lassen. Sehen Sie? Er ist anscheinend kaputt.«
Unversehens war Pater Mattingly mit dem Engländer ins Gespräch gekommen. Unter den tiefhängenden Eichenästen plauderte man ganz unbefangen über all die »bekannten« Einzelheiten, die auch dem Mann anscheinend ganz geläufig waren – die Schockbehandlungen, die Sanatorien, die vor langer Zeit nach Kalifornien zur Adoption gegebene Tochter. Aber nicht im Traum wäre es Pater Mattingly eingefallen, die Klatschgeschichten des alten Dave Collins über Stella oder »den Mann« zu erwähnen. Solchen Unfug noch zu
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