Hexenstunde
wiederholen wäre schlichtweg unrecht gewesen. Außerdem kam es den schmerzlichen Geheimnissen zu nahe, die Deirdre ihm anvertraut hatte.
Irgend wie landeten er und Lightner im »Commander’s Palace« zu einem verspäteten Mittagessen auf Rechnung des Engländers. Welch ein Fest für den Priester. Wie lange war es her, daß er in einem so feinen Restaurant in New Orleans gespeist hatte, mit Tischdecken und leinenen Servietten. Und der Wein, den der Engländer bestellt hatte, war ausgezeichnet.
Lightner gab ganz unverhohlen zu, daß er sich für die Geschichte von Familien wie den Mayfairs interessierte.
»Sie wissen, daß sie eine Pflanzung auf Haiti hatten, als die Insel noch Saint Domingue hieß. Maye Faire hieß sie, wenn ich nicht irre. In der Zeit vor dem Sklavenaufstand machten sie ein Vermögen mit Kaffee und Zucker.«
»So weit zurück reichen Ihre Kenntnisse von der Familie?« sagte der Priester staunend.
»Oh, durchaus«, antwortete Lightner. »Es steht in den Geschichtsbüchern, wissen Sie. Eine mächtige Frau führte die Plantage damals – Marie Claudette Mayfair Landry. Sie trat in die Fußstapfen ihrer Mutter, Angelique Mayfair. Aber da waren sie schon seit vier Generationen da. Charlotte war aus Frankreich gekommen, im Jahre – wann war es gleich? – 1689. Ja, Charlotte. Und sie bekam Zwillinge, Peter und Jeanne Louise, und die beiden wurden einundachtzig Jahre alt.«
»Was Sie nicht sagen. So alte Berichte über sie habe ich noch nie gehört.«
»Ich glaube, das ist schlicht aktenkundig.« Der Engländer zuckte leicht mit den Achseln. »Nicht einmal die schwarzen Rebellen wagten es, die Plantage in Brand zu setzen. Marie Claudette gelang es, mit einem fürstlichen Vermögen und ihrer ganzen Familie zu emigrieren. Sie kamen nach La Victoire in Riverbend, unterhalb von New Orleans. Ich glaube, sie nannten es einfach Riverbend.«
»Miss Mary Beth kam dort zur Welt.«
»Ja. Richtig. Das war… mal sehen – ich glaube, es war 1871. Erst der Fluß konnte das alte Haus schließlich verschlingen. Eine Pracht war es, mit Säulen ringsum. Es gab Photos davon in den ganz alten Reiseführern über Louisiana.«
»Die würde ich gern einmal sehen«, sagte der Priester.
»Das Haus in der First Street bauten sie vor dem Bürgerkrieg, wissen Sie«, fuhr Lightner fort. »Genau gesagt, es war Katherine Mayfair, die es baute, und später wohnten ihre Brüder Julien und Rémy Mayfair dort. Und dann machte Mary Beth es zu ihrem Heim. Ihr gefiel es auf dem Land nicht.«
»Von Miss Mary Beth hat man mir immer erzählt…«
»Ja, es war Mary Beth, die Richter McIntyre heiratete; natürlich war er damals noch ein junger Anwalt. Und ihre Tochter Carlotta Mayfair ist heute anscheinend die Hausherrin…«
Pater Mattingly war entzückt – nicht bloß wegen seiner alten, quälenden Neugier über die Mayfairs, sondern auch wegen der verbindlichen Art, mit der Lightner erzählte, und wegen seines angenehm klingenden englischen Akzents. Pure Historie das alles, kein Klatsch. Völlig unschuldig. Es war lange her, daß Pater Mattingly mit einem so kultivierten Mann gesprochen hatte. Nein, dies war kein Klatsch, wenn der Engländer es erzählte.
Und wider besseres Wissen war der Priester unversehens dabei, mit stockender Stimme die Geschichte von dem kleinen Mädchen auf dem Schulhof und den geheimnisvollen Blumen zu erzählen. Das war immerhin nicht das, was er im Beichtstuhl erfahren hatte, erinnerte er sich. Aber es war doch beängstigend, daß es in dieser Weise hervorsprudelte, nachdem er nur ein halbes dutzendmal an seinem Wein genippt hatte. Pater Mattingly war beschämt. Plötzlich ging ihm die Beichte nicht mehr aus dem Kopf. Er verlor den Faden. Er dachte an Dave Collins und an all die seltsamen Dinge, die er erzählt hatte, und an Pater Lafferty, der darüber so wütend geworden war, damals an jenem Juliabend auf dem Basar, Pater Lafferty, der dann die Adoption von Deirdres Baby organisiert hatte.
Der Engländer wartete geduldig, während der Priester seinen Gedanken nachhing. Ja, es geschah etwas höchst Merkwürdiges. Pater Mattingly hatte den Eindruck, daß der Mann ihm beim Denken zuhörte! Aber das war ganz unmöglich. Und wenn doch jemand auf diese Weise die Erinnerung an eine Beichte belauschen konnte – was sollte ein Priester dagegen tun?
Wie lange dieser Nachmittag ihm vorkam. Wie behaglich, wie gelassen. Schließlich wiederholte Pater Mattingly all die alten Geschichten von Dave Collins, und
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