Hexensturm
Menschen, die mich lieben, schon nach mir gesucht haben. Weil ich als Tochter eines Gardisten dazu erzogen wurde, niemals aufzugeben. «
»Camille …«, stieß mein Vater erstickt hervor. Mit gequälter Miene sah er mich an. »Bitte versteh doch …«
»Nein. Kein Verständnis mehr. Nach Mutters Tod bin ich eingesprungen. Ich habe meine Schwestern aufrecht gehalten. Du hast diese Verantwortung an mich abgegeben, und ich habe sie bereitwillig auf mich genommen. Aber ich bin nicht mehr deine gehorsame Dienerin.« Ich schüttelte den Kopf. »Für dich existiere ich doch gar nicht, nicht wahr? Du hast verkündet, dass ich nicht mehr deine Tochter bin. Ich bin für dich gestorben. Warum sollte ich davon ausgehen, dass dich all das einen Dreck interessiert? Warum habe ich auch nur gehofft, das könnte dir nicht gleichgültig sein?«
»Du verstehst das nicht! Meine Pflicht Hof und Krone gegenüber …«
»Du hast dich für Hof und Krone entschieden und gegen deine Familie. Ich hoffe sehr, dass Tanaquar dich im Winter schön warm hält und dich nicht einfach vor die Tür setzt, wenn du für sie nicht mehr nützlich bist. Denn dass du uns nicht mehr brauchst, hast du sehr deutlich gemacht.«
»Camille …« Die Stimme meines Vaters brach. Er wirkte gleichermaßen zornig und zutiefst bekümmert.
Ich nahm den Brief meiner Tante vom Tisch und ging zur Tür. »Danke für den Brief … aber ich habe vor der Aufnahmezeremonie an Aevals Hof noch viel zu tun. Ich muss mich dringend an einem Drachen rächen. Und als Priesterin der Mondmutter kommt meine Göttin an erster Stelle, vor allem anderen. Sie war für mich da. Du nicht. Tanaquar auch nicht. Geh nach Hause, Sephreh. Wenn du nicht wieder mein Vater sein willst, zu meinen Bedingungen, dann geh nach Hause.«
Als ich den Raum verließ, konnte ich ihn hinter mir flüstern hören. »Camille, mein kleines Mädchen …« Doch er versuchte nicht, mich aufzuhalten.
Im Flur ging ich an Delilah vorbei. »Er ist da drin. Wenn du ihm irgendetwas sagen willst, nur zu. Ich will noch ein paar Sachen packen, ehe wir wieder zu Smokys Hügel rausfahren. Ich bin fertig mit ihm.«
Sie sah mir betroffen ins Gesicht. »Verstehe. Ach, da fällt mir ein, ich brauche da draußen auch ein Katzenklo.«
»Na wunderbar. Halte es ja sauber, sonst bekommt Smoky einen Tobsuchtsanfall.« Ich lächelte sie an, dankbar dafür, dass sie mir Grund zum Lachen gegeben hatte.
Was Delilah danach mit unserem Vater besprach, wusste ich nicht – ich wollte es auch eigentlich nicht wissen. Ich setzte mich auf mein Bett und öffnete den Brief von Tante Rythwar.
Liebe Camille,
Dein Vater hat mir endlich erzählt, was zwischen Euch beiden vorgefallen ist – nun, zumindest seine Version davon. Ich kann mir vorstellen, dass Deine ein wenig anders lautet. Ich möchte Dir etwas sagen, bitte höre mir gut zu: Als Dein Vater Deine Mutter aus der Erdwelt mit heimbrachte, war ein Großteil der Familie erst nach Jahren bereit, diese Verbindung zu akzeptieren. Aber ich habe in Maria eine Schönheit und Herzensgüte gesehen, die so vielen Leuten unseres eigenen Volkes fehlt. Und allein dafür habe ich sie geliebt.
Du und Deine Schwestern seid zu starken Mädchen herangewachsen. Ihr musstet stark werden, um den Gemeinheiten standhalten zu können, die Euch überall entgegengeschleudert wurden. Und Ihr seid zu bewundernswerten Frauen gereift, die voller Kraft stets das tun, was sie für richtig halten. Auch, wenn Euer Vater dagegen ist. Ich liebe Deinen Vater, er ist mein Bruder, aber manchmal würde ich ihn am liebsten packen und kräftig schütteln. Er ist ein Narr, dass er so an dem festhält, was er als seine Pflicht gegenüber der Krone betrachtet. Er schaut über das Unrecht hinweg, das im Namen von Hof und Krone geschieht, und nur die stärksten Verfehlungen könnten ihn aufrütteln.
Ich weiß, dass er Dich enterbt und verstoßen hat. Das ist ihm nicht leichtgefallen, und es ist dumm von ihm, zu glauben, Tanaquar sei auch nur einen Deut besser als Lethesanar vor ihr.
Was ich Dir sagen möchte, ist dies: Du hast immer noch mich. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn Du Hilfe brauchst, einen Unterschlupf oder ein Zuhause. Du, Delilah und auch Menolly – ich fürchte ihre vampirische Natur nicht. Ihr seid meine Nichten, und ich liebe Euch alle. Ich vermisse Euch und schicke Euch meine Liebe. Bitte gib Shamas auch einen Kuss von mir. Ich bin jetzt die einzige Mutter, die er hat.
Deine Tante Rythwar
Ich
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