Hexensturm
verbringen.
Hyto bremste über dem Felsvorsprung ab und ließ mich aus etwa vier Metern Höhe fallen. Ich landete auf dem schmalen Sims und drückte mich hastig an die Felswand. Während er sich ein Stück weiter verwandelte, blickte ich mich rasch nach einem Fluchtweg um, doch es gab keinen. Im Gegensatz zu seiner Dreyrie führte hier kein Weg den Berg hinunter. Diese Felswand würde ich unmöglich herunterklettern können. Ich beschloss, es mit der Flucht ins Unbekannte zu versuchen, und rannte in die Höhle, ehe er mich zu fassen bekam.
»Camille? Wo zum Teufel willst du hin, Mädchen? Komm sofort wieder hier heraus, oder ich schwöre dir, du wirst nur noch um Gnade betteln, wenn ich dich erwischt habe!« Seine Stimme klang heiser, und er keuchte. Die Treffer, die er in seiner Drachengestalt eingesteckt hatte, mussten ihn wirklich verletzt haben.
Ich blickte mich nach einem Versteck um. Ich konnte nichts sehen – nach dem gleißenden Licht in den schneebedeckten Bergen in diese Dunkelheit zu kommen, hatte denselben Effekt, als hätte mir jemand mit einer Kamera in die Augen geblitzt. Ich taumelte weiter und tastete mit ausgestreckten Armen nach der Höhlenwand. Gleich darauf spürte ich sie und presste mich an den Fels. Ich konnte nur noch darum beten, dass er mich nicht finden würde, ehe ich mich irgendwo verstecken könnte.
»Ich habe dir befohlen, da rauszukommen.« Und da war er – keine drei Meter von mir entfernt. Ich konnte sein Gewand schimmern sehen.
Verdammt, was jetzt?
Er fuhr herum und starrte in meine Richtung. Ein tiefes, kehliges Lachen sagte mir, dass er mich gefunden hatte. »Na, so was. Wen haben wir denn da?« Er kam auf mich zu, und ich wich zurück und tastete in meinem Umhang nach dem Horn des Schwarzen Tiers. Es war noch ein wenig Energie darin – vermutlich genug für einen letzten kräftigen Rumms. Wenn es sein musste, würde ich den Berg über uns beiden zum Einsturz bringen. Die Vorstellung, unter zigtausend Tonnen Geröll begraben zu werden, war nicht sonderlich angenehm, aber noch widerlicher wäre es, wieder von Hyto begrapscht zu werden.
»Rühr sie nicht an!« Smokys Stimme hallte vom Eingang der Höhle herein, und dann konnte ich ihn auch sehen – meine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. »Mich wolltest du haben. Hier bin ich. Lass sie gehen, dann bleibe ich freiwillig.«
»Nein!«, schrie ich, als mir klarwurde, dass er sich auf einen Handel einlassen wollte. »Wag das ja nicht! Er wird mich sowieso umbringen, nachdem er dich getötet hat. Entweder überleben wir beide oder keiner von uns.«
Hyto schnaubte laut. »Sie ist nicht dumm. Für ihresgleichen. Das muss ich ihr lassen. Und sie ist lecker. Ihr Fleisch wird zart wie Butter sein … Vielleicht behalte ich sie auch noch ein Weilchen und spiele mit ihr. Sie ist wirklich amüsant, wenn sie Schmerzen hat.« Und dann schlug er los. Ein schartiger Speer aus Eis schoss aus seinen Handflächen hervor schnurstracks auf meinen Mann zu.
Kreischend riss ich das Horn in die Höhe. Womöglich würde keiner von uns lebend hier herauskommen, aber Hyto würde sterben. »Herrin des Landes, hört meinen Ruf!«
Die Höhle bebte heftig, und Hytos Geschoss wich um wenige Fingerbreit vom Ziel ab, doch das verschaffte Smoky die Chance, ihm auszuweichen. Hyto stieß einen Schwall unverständlicher Wörter hervor, die vermutlich derbe Flüche in der Drachensprache waren. Ich stützte mich an der Höhlenwand ab, und ein tiefes Grollen rollte durch den Fels. Hinter mir krachte es, und ich kreischte wieder, als Felsbrocken und Steinchen von der Decke prasselten.
»Camille!« Smoky brüllte nach mir, und ich versuchte, an Hyto vorbeizukommen, aber der Drache packte mich mit seinem verfluchten Haar und riss mich an sich.
»Wenn du um solche Einsätze spielen willst, Mädchen, wirst du die Konsequenzen tragen.« Er schlang das Haar noch fester um mich und drückte zu, bis ich kaum mehr Luft bekam.
Das Beben hörte nicht auf, die Decke brach allmählich ein, und Stalaktiten, die sich über tausend Jahre da oben gebildet hatten, zersprangen auf dem Boden. Eine Staubwolke erfüllte die Höhle, und ich begann erstickt zu husten. Ich hörte Smoky, der meinen Namen schrie, und Hytos abscheuliches Lachen, während mir schwarz vor Augen wurde.
Aus dem Grollen wurde ein Donnern, und dann war alles Lärm und prasselnde Bewegung. Ich schloss die Augen, um sie vor dem Staub zu schützen, und hielt das Horn fest umklammert.
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