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Hexensturm

Hexensturm

Titel: Hexensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmine Galenorn
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aufrichtete, lag eine Pistole auf den behandschuhten Fingern. »Chases Waffe. Und sie ist abgefeuert worden. Das ist kein gutes Zeichen.« Sie sah sich noch einmal um, und Tränen standen ihr in den Augen, aber sie weinte nicht. Dann sicherte sie die Waffe und steckte sie in ihren Beutel mit dem zweiten Paar Handschellen.
    »Sollen wir weitergehen?« Ich ließ den Blick über die grasbewachsene Senke schweifen. Sie war umringt von hohen Eichen und Zedern, in deren Schatten sich eine dicke weiße Schicht gehalten hatte. Da fiel mir etwas ins Auge. Auf den zweiten Blick konnte ich genau erkennen, wo etwas – oder jemand – durch den Rauhreif geschleift worden war. »Sieh mal – da.«
    Delilah kniete sich neben die Spur. Sie schnupperte und hielt einen Moment lang die Luft an, ehe sie langsam wieder ausatmete. »Chase. Chase war hier. Etwas hat ihn angegriffen, er hat geschossen und dann seine Waffe fallen lassen. Ich glaube, was immer das war, hat ihn überwältigt.«
    Ich folgte der Schleifspur mit den Augen. »Das sieht aus, als hätte jemand eine Last geschleppt – ich kann keine Fußabdrücke erkennen, er scheint nicht selbst gelaufen zu sein.« Wenn er einen Angreifer verfolgt oder Widerstand geleistet hätte, wäre da nicht nur diese gerade Spur zu sehen gewesen.
    »Komm.« Delilah eilte über die Lichtung, und ich folgte ihr, obwohl ich ohne Verstärkung eigentlich nicht weitergehen wollte. Aber Chase war offenbar überwältigt worden, und die Götter allein mochten wissen, was ihn jetzt in seiner Gewalt hatte.
    Ich holte zu ihr auf, und wir folgten der Schleifspur im frostigen Gras. Als wir die andere Seite der Lichtung erreichten, entdeckten wir einen Pfad durch einen Kreis aus Zedern und Eichen.
    Vorsichtig gingen wir weiter. Delilah hielt witternd die Nase in die Luft gereckt, während ich mich immer wieder über die Schulter umblickte.
    Dann traten wir unter den Bäumen hervor und fanden uns am Rand eines Sumpfs wieder. Lang und breit erstreckte er sich beinahe so weit, wie das Auge reichte. Ich konnte gerade noch eine Andeutung von hügeligerem Land auf der anderen Seite ausmachen, aber über dem Sumpf hingen feine, tiefe Nebelschwaden, und durch den Dunst war nicht viel zu erkennen. Es stank durchdringend nach Torf, und der säuerliche Geruch verrottender Vegetation hing in der Luft.
    Ich ließ den Blick über das weite Moor schweifen. Sumpfland war tückisch. Wenn wir versuchten, uns ohne die richtige Ausrüstung einen Weg hindurch zu suchen, würden wir sehr wahrscheinlich im Morast versinken. Obendrein war alles mit Rauhreif bedeckt, so dass gar kein Pfad zu erkennen war, und im Gewirr hoher Grasbüschel war auch keine Spur mehr zu sehen, die Chase vielleicht hinterlassen hätte.
    Ein klagender Ruf hallte zu uns herab, als eine kleine Schar Enten vorüberflog.
    Delilah wandte mir das bleiche Gesicht zu. »Was wetten wir, dass der Sumpfschlinger irgendwo da draußen ist und schon auf uns wartet? Glaubst du, er hat Chase?«
    »Wenn er ihn hat, ist Chase so gut wie tot«, platzte es aus mir heraus, ehe ich mich beherrschen konnte. Ich sah ihr gequältes Gesicht, biss mir auf die Lippe und legte ihr sacht eine Hand auf den Arm. »Ich hoffe es nicht. Aeval ist auch nicht davon ausgegangen. Meinst du, er wurde vielleicht eher in das Waldstück da drüben geschleift, statt hinaus ins Moor? Sollen wir dort nachsehen?«
    Sie zuckte wenig hoffnungsvoll mit den Schultern. »Glaubst du denn, dass wir dort etwas finden könnten? Oder bist du im Grunde sicher, dass er irgendwo da draußen ist … tot?«
    Nach allem, was wir schon durchgemacht hatten, sah meine Schwester zum allerersten Mal so hoffnungslos und geschlagen aus. Mit angehaltenem Atem wartete sie auf meine Antwort. Und das zerriss mir beinahe das Herz. Sie war die ewige Optimistin von uns dreien, und ich war froh, dass sie endlich ein bisschen erwachsener geworden war – sie hatte dringend etwas gesunden Realismus gebraucht, um sich dem stellen zu können, womit wir es zu tun hatten. Trotzdem schmerzte die Erkenntnis, dass meine kleine Schwester nicht mehr das unbekümmerte, fröhliche Kätzchen war.
    Ich biss die Zähne zusammen und entschied mich für etwas, das ich selten tat. Ich log.
    »Ich glaube nicht, dass er tot ist. Nein. Wenn der Sumpfschlinger ihn erwischt hätte, hätte er Chase sofort gefressen. Dann hätten wir Blut und irgendwelche Überreste finden müssen. Ich glaube, irgendetwas anderes hat ihn erwischt. Ich bin nicht

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