Hexensturm

und schleuderte dann den Zauber auf ihn.
    Da ich ihn nicht töten wollte, zielte ich mit der Kugel auf seine Schulter.
    Er sah zu, wie sie durch die Luft zischte, und versuchte nicht einmal, sich zu ducken. Sie traf ihn mit solcher Wucht am Oberarm, dass er auf den Rücken geschleudert wurde – aber hoffentlich keinen ernsthaften Schaden nahm. Er stieß einen Schrei aus und rappelte sich wieder auf.
    Ich wedelte mit den Händen, als wollte ich eine Katze verscheuchen. »Geh – geh weg. Lass uns in Ruhe!«
    Im selben Augenblick hallte ein tiefes Grollen durch den Wald. Ich taumelte zurück und vergaß beinahe diesen seltsamen Feenjungen.
    Schwere Schritte grollten wie Donner aus dem tiefen Wald. Irgendetwas Gewaltiges kam auf uns zu. Etwas Altes, älter als die Zeit selbst, stapfte mit solcher Leichtigkeit durch den Wald wie unsereins durch einen Garten. Ein Schwall Moschusduft trieb heran und mit ihm starke männliche Energie, steif und finster.
    Instinktiv wichen wir zurück, aber wir konnten nirgendwohin fliehen.
    Ich sah mich nach dem gehörnten Burschen um. Ein schadenfrohes Grinsen breitete sich über sein Gesicht, und er streckte mir die Zunge heraus. Ich erwiderte die höhnische Geste nicht, sondern versuchte mich zu sammeln. Was immer da im Anmarsch sein mochte, ich musste all meine Gedanken beisammenhaben.
    Dann blitzte es, und begleitet vom Duft schweren Regens trat ein Wesen in unser Gesichtsfeld, das hoch über den Bäumen aufragte. Es war riesengroß, seine Haut dunkelgrün wie Moos. Geschraubte Hörner ragten in den Himmel, schwarz wie die Nacht, und seine Brust war mit dichtem Pelz bedeckt. Auch die ziegenähnlichen Beine trugen Zotteln. Ein Satyr. Bei jedem Schritt schlugen Funken und Flämmchen an seinen Hufen auf. Er hatte muskulöse Arme und ein faltiges Gesicht, und sein Schwanz und seine Hoden baumelten wie schwere Felsbrocken herab.
    »Herne.« Ich flüsterte seinen Namen, als ich auf die Knie fiel. Ich konnte den Blick nicht mehr von ihm losreißen.
    Herne … Herr der Wälder, Gott der Brunft. Fürst der dichten Ranken, Hirschkönig der Welt. König der Wildnis.
    Seine rot glühenden Augen blickten mir bis in die Seele. Dies war der Gefährte der Jägerin – der Mondmutter. Er war der Gott, der durch die Nacht streifte und Menschen wie Feen daran erinnerte, weshalb sie die Natur nie ganz beherrschen würden.
    Ich japste nach Luft und schlug mir die Hände vor die Augen. »Herr der Nacht …«, flüsterte ich, beugte mich vor und berührte mit dem Boden die Stirn.
    Delilah stieß einen erstickten Schrei aus und tat es mir gleich. »Das ist … Das ist …«
    »Ich bin Herne, Herrscher über dieses Land. Und dies ist mein Sohn Tra. Was hast du ihm angetan, Aeval? Ich habe dich gewarnt, nie wieder eines meiner Kinder zu quälen, du Teufelin.«
    Langsam hob ich den Blick, erfüllt von einem so tief sitzenden Grauen, dass ich kaum ein Wort herausbrachte. »Euer Hoheit … ich bin nicht … Verzeiht, aber … ich bin nicht …«
    Er unterbrach mich mit einem plötzlichen Lachen. »Du bist nicht Aeval! Wer bist du dann? Und weshalb kommst du mir so bekannt vor?« Schweigend beugte er sich vor und betrachtete mich, als musterte er einen Käfer. »Du trägst Mal und Horn des Schwarzen Tiers. Wer bist du? Was willst du in meinem Reich? Und weshalb sollte ich dich am Leben lassen?«
    In diesem Augenblick wurde mir klar, dass wir in wahrhaft gewaltigen Schwierigkeiten steckten.

Kapitel 7
    S cheiße. Und das sage ich wirklich nicht oft.
    »Wir sitzen in der Tinte«, flüsterte ich Delilah zu. »Und wie …«
    »Ich frage dich noch einmal, Mädchen: Warum sollte ich dich am Leben lassen?«
    Ich zwang mich, aufzustehen, obwohl ich lieber weiter vor seinen Füßen gekauert hätte.
    »Ich bin Camille aus der Anderwelt, Priesterin der Mondmutter. Ich bin die Auserwählte des Schwarzen Einhorns und Geißel der Dämonen.« Die Götter hatten eher Respekt vor Leuten, die ihre Heldentaten nicht bescheiden herunterspielten, also schlug ich diesen Weg ein und hoffte nur, dass das kein Fehler gewesen war.
    »Die Auserwählte des …« Herne verstummte, und ich spürte, wie er in meinem Geist herumkramte. Das konnten die Götter gut – einem in den Kopf kriechen und darin stöbern, bis sie fanden, was sie finden wollten.
    Ich konnte dieses Gefühl nicht ausstehen – es erinnerte mich daran, wie Vanzir mir die Lebenskraft ausgesogen und in meinen Geist eingedrungen war, genau wie gleich darauf in