Hexensturm
Lächeln.
Er war größer als Smoky, sein Haar fast genauso lang, aber reinweiß, nicht wie gesponnenes Silber – jetzt war ich nah genug, um den Unterschied zu erkennen. Er wirkte etwas älter, obwohl sein Alter schwer zu erraten war. Aber ich wusste, dass er uralt war … gefährlich und skrupellos.
Mit pochendem Herzen wirbelte ich herum, doch sein Haar packte mich und zerrte mich zurück.
»Nein! Nein! Lass mich los, loslassen … bitte, bitte nicht.«
Ich wollte aufwachen – schreiend aufwachen und feststellen, dass ich nur geträumt hatte. Aber hier stand ich, im Angesicht meines schlimmsten Albtraums.
Er schlang die Arme um meine Taille, hob mich hoch, so dass ich ihm direkt in die Augen sehen musste, und lehnte die Stirn an meine, während ich zappelnd versuchte, mich zu befreien. Dann presste er den Mund auf meine Lippen und zwang sie mit der Zunge auseinander. Ich würgte, als er sie mir fast in den Hals schob. Ich versuchte, ihm auf die Zunge zu beißen, doch eine Strähne seines Haars schlang sich um meinen Hals und drückte zu, bis ich aufhörte.
»Na, was ist denn, Camille? Du bist nicht besonders freundlich. Ist das eine Art, einen Verwandten zu begrüßen? Freust du dich denn gar nicht, deinen Schwiegervater zu sehen?«
Hyto lachte, und ich begann zu schreien.
Kapitel 10
H yto hielt mich fest, das Haar immer noch eng um meine Kehle geschlungen. »Ich könnte dir mit Leichtigkeit den Hals brechen, dich ersticken, dir den Kopf von den Schultern reißen. Also schlage ich vor, du hörst auf zu schreien.«
Ich schloss den Mund und wartete auf den Tod – ich wusste ja, dass er deshalb hier war. Stattdessen hob sich eine weitere Strähne und streichelte meine Wange.
Mir drehte es den Magen um. »Die Banne haben inzwischen einen Eindringling gemeldet. Smoky sucht mich schon und wird jeden Moment hier sein.« In seinem Würgegriff brachte ich die Worte kaum heraus, und mein Hals schmerzte.
»Ich denke nicht, dass mein Sohn etwas Derartiges tun wird.« Er gab ein Zeichen, und hinter einer hohen Tanne trat der Mann hervor, den Giselle mir beschrieben hatte. Er verneigte sich kurz vor Hyto. »Dies ist Asheré, mein Schneemännchen. Es war ihm ein Leichtes, eure Banne auszuschalten. Also weiß niemand von irgendetwas.«
Panik stieg in mir auf. O Große Mutter, er wird mich gleich hier und jetzt umbringen, und ich werde mich nicht einmal von meinen Liebsten verabschieden können.
Ich wollte ihn anflehen – Lass mich los, lass mich gehen, und ich sage keinem ein Wort. Doch die Worte erstarben mir auf den Lippen. Hyto war für Vernunft nicht zugänglich. Er würde mir gar nicht zuhören. Er hasste mich. Und ich bettelte nie. Wenn meine Schwestern in Gefahr wären oder das Leben eines Freundes auf dem Spiel stünde? Auf der Stelle würde ich auf dem Boden herumkriechen. Aber niemals würde ich um mein eigenes Leben betteln.
»Nichts zu sagen? Kein Protest? Willst du gar nicht um dein Leben flehen?« Er sah mich fragend an und stieß dann ein Schnauben aus. »Tja, wie dem auch sei, ich kann nicht gehen, ohne meine Visitenkarte zu hinterlassen. Asheré – mach das Mädchen bereit.« Er schleuderte mich zu Boden.
Asheré packte meine Arme, und ich öffnete den Mund, um zu schreien, doch auf ein einziges Wort des Mönchs hin versagte meine Stimme, und ich brachte keinen Laut mehr heraus. Ich wehrte mich gegen seine Hände, aber ein weiteres Wort, und ich konnte mich nicht mehr rühren. Da stand ich nun, so still wie die Nacht.
Wir sahen zu, wie Hyto beiseitetrat. Ich kam mir vor wie in einem Traum, so festgefroren wie die Eiszapfen am Dach. Die Gesichter meiner Schwestern traten mir vor Augen – sie würden weitermachen, aber ich würde sie so sehr vermissen.
Und Smoky, Trillian … Morio … Wer würde meine Überreste hier finden? Ich konnte nur beten, dass es keiner meiner Männer sein würde – oder gar meine Schwestern. Hoffentlich jemand, der nicht gar so darunter leiden würde. Mein Cousin … oder Chase … egal wer, nur nicht meine Familie.
Würden sie um mich trauern? Ich dachte an Maggie, und Tränen liefen mir über die Wangen. Und Iris – zumindest wusste ich, dass sie jetzt glücklich war. Selbst mitten in diesem Krieg gab es für sie einen Hoffnungsschimmer.
Meine Gedanken huschten weiter zu meinem Vater. Würde er es bereuen, dass er mich verstoßen hatte? Würde er meine geborstene Seelenstatue sehen? Würde er die Scherben in der Hand halten und sich fragen, was
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