Hexensturm
ich keuchte und hob die Hand an meine Wange. Ein warmes Rinnsal Blut verschmierte mir die Finger, und ich begann zu zittern. Ich wich einen weiteren Schritt zurück, doch dieselbe Strähne packte mich am Handgelenk.
»Sag es. Fleh mich an, dich zu verschonen. Dies ist deine letzte Chance.« In seinen Augen wirbelten neblige Strudel, und ich sah den Drachen in seiner Aura aufsteigen, so riesig und uralt, dass er wohl Berge hatte entstehen und sterben sehen. Er meinte jedes Wort todernst, und ich wollte noch nicht gleich herausfinden, wie weit man seine Geduld strapazieren konnte.
Meine Knie gaben beinahe nach, als ich stammelte: »Bitte … bitte verschone mich.« Beschämt und wütend auf mich selbst, weil ich so leicht nachgegeben hatte, flüsterte ich die Worte mit gesenktem Kopf. Doch das Blut lief mir über die Wange, und der Mann, der über mir aufragte, konnte mich in zwei Teile spalten wie eine Axt ein Stück Feuerholz.
»Na bitte, war das so schwer?« Er hob mit einer Hand mein Kinn ein wenig an. »Du wirst noch Manieren lernen, verehrte Camille. Du wirst lernen, wo dein Platz unter meinesgleichen ist. Du wirst lernen, was es bedeutet, einem Drachen wahrhaftig zu dienen.«
Dann stieß er mich von sich, und ich stürzte zu Boden. Ich rührte mich nicht – bloß nicht noch mehr provozieren.
»Ich schicke eine Frau herein, die dich vorbereiten wird. Du bist nicht angemessen gekleidet, um mir Gesellschaft zu leisten. Tu, was sie sagt.« Er wandte sich ab und ging. Dann fügte er über die Schulter hinzu: »Ach, und – Camille? Falls du an Flucht denken solltest, will ich dich nur ein einziges Mal warnen: Wenn du mir entkommst, werde ich zu deinem Haus zurückkehren und jeden Zoll deines Anwesens zerstören. Ich werde dein Haus niederbrennen und deine Schwestern und diesen lästigen kleinen Hausgeist vergewaltigen. Und dann werde ich sie auffressen.«
Damit verschwand er wieder in der Tiefe der Höhle.
Ich wartete, bis er weg war, und rappelte mich dann auf. Was zum Teufel sollte ich tun? Ich konnte nicht entkommen – nicht ohne Hilfe und Ausrüstung. Und wenn ich es doch schaffte … würde er seine Drohung wahr machen?
Das ist gar keine Frage, hielt mein Bauchgefühl mir vor. Du weißt genau, dass er es tun wird. Die Frage ist: Werden die anderen ihn aufhalten können, ehe er alles restlos zerstört hat?
Ich kauerte mich ans Feuer und wartete, bis Schritte mir sagten, dass wieder jemand kam. Es war eine Frau, wie Hyto angekündigt hatte, und ich sah auf den ersten Blick, dass sie kein Drache war. Sie gehörte zum Volk der Nordmänner, ihrem Aussehen nach. Stämmig gebaut, mit langem, strähnigem, hellblondem Haar und Muskeln, die verkündeten, dass sie sich von niemandem etwas gefallen ließ. Wenn es mir nicht gelang, sie mit einem Zauber außer Gefecht zu setzen, würde ich kaum an ihr vorbeikommen. Sie bedeutete mir, ihr zu folgen, und ich gehorchte schweigend.
Wir gingen tiefer in die Höhle hinein, und das beharrliche Heulen des Windes begleitete uns. Die Höhle war so riesig, dass Hyto sicherlich hier drin seine Drachengestalt annehmen konnte. Die Wände waren kahl und glatt geschmirgelt, Stalagmiten und Stalaktiten über Jahrhunderte hinweg dick und rund gewachsen. Diese Höhle hatte schon zahllose Jahre überstanden und fühlte sich alt, hohl und tief an.
Ich räusperte mich und sah die Frau an. »Darf ich sprechen?« Auf nähere Bekanntschaft mit ihren Fäusten war ich auch nicht gerade scharf.
Doch sie schien mich zu verstehen und nickte. Ich hatte sie in einer Variante der Nordlandsprachen angeredet – schlecht ausgesprochen, denn ich beherrschte sie nicht gut, aber gut genug, um mich verständlich zu machen. Es hatte keinen Zweck, sie zu fragen, wo wir uns befanden, also holte ich tief Luft und fragte stattdessen: »Was hast du mit mir vor?«
»Dich für den Herrn zurechtmachen. Du bist nicht angemessen gekleidet. Ich werde dich baden und ankleiden und dir zu essen geben.« Ihre Miene veränderte sich nicht, während sie sprach, doch ich erhaschte einen Anflug von Mitleid in ihrem Blick.
Ich senkte den Kopf, drehte meinen Glamour voll auf und nickte traurig. »Ich bin nicht freiwillig hier. Er hat mich entführt.«
»Niemand ist ihm aus freiem Willen gefällig. Jedenfalls keine Frau.« Ihre Worte waren barsch, aber deutlich.
»Weshalb bist du dann hier? Warum hilfst du ihm?«
Sie blieb stehen und drehte sich zu mir um. »Ich sage dir das nur einmal. Vergiss es nicht. Er
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