Hexentage
Wellenmuster entstehen ließen. Aus seiner Erfahrung wußte er, wie gefährlich es für ihn war, in eine Pfütze zu schauen. Er wollte seinen Blick abwenden, doch die Bewegung des Wassers trug seinen Geist davon, und wieder war er nicht in der Lage, den Bildern in seinem Kopf zu entfliehen.
Er fühlt Hitze.
Nein, bitte, es darf nicht schon wieder geschehen,
schoß es ihm durch den Kopf.
Flammen lodern neben ihm auf.
Es ist nicht wahr.
Das Feuer umschließt ihn. Seine Kleidung steht in Flammen und frißt sich gierig in seine Haut. Er kann keinen klaren Gedanken mehr fassen und stürzt taumelnd durch diese Hölle aus Feuer. Hinter ihm krachen schwere Holzbalken zu Boden und schleudern einen sprühenden Funkenregen in seine Richtung. Dann endlich stößt er die Tür auf, die ihn aus diesem Inferno befreit. Doch er trägt das Feuer mit sich in die Nacht. Seine Füße torkeln ohne Ziel über das Gras, und er fleht darum, sterben zu dürfen, um die unerträglichen Schmerzen zu überwinden.
Vor ihm taucht eine Gestalt auf. Ein Mann, der bei dem Anblick dieser lebenden Fackel erschrickt und abwehrend die Hände ausstreckt. Sie prallen aufeinander, und er wird schmerzhaft von dem Mann zu Boden gestoßen. Dann erst verdunkelt sich die Welt um ihn herum.
»Jakob!« erklang eine Stimme, und eine Hand rüttelte an seinen Arm. Jakob blinzelte und bemerkte, daß die Flammen in seinem Kopf wieder dem Regen gewichen waren.
|119| »Was ist mit Euch? Warum stiert Ihr in die Luft und antwortet nicht?« rief Sara.
Jakob klammerte sich an einen der Holzpfeiler und rang verzweifelt nach Luft. Übelkeit stieg in ihm auf, und er konnte es nicht mehr verhindern, daß er sich übergab.
»Jakob …?« sagte Sara hilflos.
Er schämte sich für sein jämmerliches Gebaren, aber wie sollte er ihr erklären, daß er soeben die Qualen eines Verbrennenden erlitten hatte? Und da gab es noch etwas anderes, das ihm Schwindel verursachte.
Jakob hatte den Mann erkannt, der ihn zu Boden gestoßen hatte. Seine gedrungene, aber kräftige Gestalt, die blauen Augen, die so deutlich aus dem kantigen Gesicht hervorstachen.
Es waren die Augen des Scharfrichters Matthias Klare gewesen.
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Kapitel 13
Der Regen hörte nicht auf. Jakob wurde ungeduldig. Zu lange fesselte sie das Gewitter bereits an diese unselige Ruine. Eine gute Stunde mochte seit ihrer Flucht vor dem Niederschlag vergangen sein, ohne daß sich die Wolkendecke am Himmel aufhellte. Er rieb seine Stirn und fühlte sich noch immer so benommen, als hätte jemand mit einem Stein auf seinen Kopf geschlagen. Seit der Vision hatte er kaum ein Wort mit Sara gewechselt. Sie hatte versucht, in Erfahrung zu bringen, was ihm widerfahren war, doch er hatte ihr zu verstehen gegeben, daß er nicht bereit war, darüber zu sprechen. Daraufhin hatte sie lediglich unbewegt in den Regen gestarrt. Bei allem Ungemach, das diese Vision über ihn gebracht hatte, empfand er doch eine gewisse Genugtuung darüber, daß Sara nun akzeptieren mußte, daß er nicht nur ein unbedarfter Jüngling war, der kaum seine Meinung gegen sie behaupten konnte, sondern durchaus |120| ungewöhnliche und undurchschaubare dunkle Seiten in sich barg.
Möglicherweise verstimmte es sie auch, daß er sich ihr gegenüber plötzlich dermaßen abweisend verhielt, aber wie hätte er ihr erklären sollen, was mit ihm geschehen war und was er in seiner Vision gesehen hatte? Die Bilder ergaben selbst für ihn keinen Sinn. Welchen Grund sollte es für den Scharfrichter Matthias Klare geben, das Kloster niederzubrennen? Hatte ihn das Gesicht getäuscht? Gerne hätte Jakob die Offenbarung als irritierenden Alptraum abgetan, aber die Erfahrung lehrte ihn, daß seine Visionen eine Wahrheit in sich trugen, die er nicht verleugnen konnte.
»Laßt uns gehen«, sagte Sara nach einer Weile. »Der Regen wird so schnell nicht aufhören, und ich beginne zu frieren.«
Jakob hatte nichts gegen ihren Vorschlag einzuwenden. Der Gedanke, völlig durchnäßt in Osnabrück anzukommen, schreckte ihn nicht so sehr wie die Aussicht, noch länger in dieser bedrückenden Umgebung auszuharren.
Sara faßte seine Hand, und sie traten ins Freie. Sofort schlug ihnen der Regen entgegen. Jakob kniff die Augen zusammen und zog Sara mit sich. Der schlüpfrige Boden unter ihren Füßen machte es unmöglich, zügig voranzukommen, also bahnten sie sich mit vorsichtigen Schritten den Weg zurück in die Stadt.
Als sie das Stadttor erreichten, waren sie so naß, als
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