Hexentochter
Atlas vor die Nase hielt. Sie stöhnte und versuchte sich stattdessen auf die Bilder zu konzentrieren. Da war England.
»Siehst du sie? Die Insel aus deinem Traum?«
»Nein«, gestand Holly, und sie konnte das kaum darauf schieben, dass das Bild zu klein wäre. »Aber sie war genau hier«, sagte sie und zeigte auf die Stelle, an die sie sich erinnerte.
Amanda schloss den Atlas. »Holly, das war nur ein Traum.«
»Nein, war es nicht.«
»Okay, nehmen wir an, es war mehr. Du hast gesagt, die Karte sei alt gewesen. Vielleicht gibt es die Insel nicht mehr.«
Holly runzelte verwirrt die Stirn. »Willst du damit sagen, sie könnte untergegangen sein? Wie Atlantis?«
Amanda zuckte mit den Schultern. »Könnte doch sein. Wenn sie magisch ist.«
Holly schlug das Buch wieder auf, und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie fand die richtige Seite und starrte darauf.
»Vielleicht ist sie unsichtbar«, sagte sie langsam. »Oder in Vergessenheit geraten.« Sie richtete ihre neue Sehkraft auf die Seite, als könnte sie ihr irgendwelche verschwundenen Landstriche enthüllen.
»Aber... würde sie einfach von den Landkarten verschwinden? Das ist unwahrscheinlich.«
»>Unsichtbar< bedeutet >verborgen<«, erinnerte Holly sie.
Bast pfötelte an ihrem Arm, und Holly gähnte. Ihr fielen die Augen zu. Sie spürte, wie der Schlaf sie lockte, und hatte nicht mehr die Kraft, ihm zu widerstehen.
Sie schlief so schnell ein, dass sie nicht mehr mitbekam, wie Amanda das Zimmer verließ.
Morgen.
Und keine weiteren Träume.
Bast hatte das Zimmer verlassen, und Holly war aufgestanden. Nun stand sie vor dem Badezimmerspiegel, kniff die Augen zusammen, um nicht in ihre eigenen Poren zu starren, und endlich wusste sie, was sie zu tun hatte. Sie band sich das Haar mit einer keltischen Silberspange zurück und verließ das Bad. Sie ging hinunter und übte unterwegs, was sie zu Amanda sagen würde.
Sie fand ihre Cousine vor einer Schüssel Rice Krispies am Tisch. Amanda blickte zu ihr auf.
»Du hast lange geschlafen«, bemerkte sie. »Ich habe neue Schutzzauber über meinen Dad gelegt und alle Banne am Haus überprüft.« Ihr Blick wanderte zu der Stelle an der Decke, über der das Schlafzimmer ihres Vaters lag.
Holly holte sich eine Schüssel und setzte sich zu ihr an den Tisch.
»Mit meinem Gesichtssinn stimmt was nicht«, erzählte sie Amanda. »Es ist, als würde ich alles aus nächster Nähe sehen, wie mit einem Super- zoom. Das ist überhaupt nicht lustig.«
»Wir versuchen es mit einem Zauber«, schlug Amanda vor.
»Wenn ich etwas gegessen habe«, erwiderte Holly. »Mir ist ziemlich schlecht.«
»Hast du letzte Nacht noch mehr geträumt?«
»Nein«, antwortete Holly. Sie goss Milch in die Schüssel, starrte darauf hinab und schob sie von sich. Sie würde nichts bei sich behalten können. »Aber ich habe über den Traum mit der Insel nachgedacht.«
Etwas in ihrem Tonfall musste Amanda alarmiert haben, denn sie hielt inne und starrte Holly argwöhnisch an. »Warum habe ich das Gefühl, dass mir das nicht gefallen wird?«
Holly legte die gefalteten Hände auf den Tisch. »Amanda, ich werde mich auf die Suche nach Jer machen.«
Amanda griff nach ihrem Glas Orangensaft und trank es langsam aus. Als es leer war, stellte sie es mit einem energischen Knall auf den Tisch. Sie sah Holly fest in die Augen. Holly kniff die Augen zusammen, um nicht die Blutgefäße in den Augäpfeln ihrer Cousine sehen zu müssen.
Amanda sprach mit ruhiger, fester Stimme. »Auf gar keinen Fall.«
»Was?«
»Michael könnte uns jeden Moment wieder angreifen, und wir müssen vorbereitet sein. Das bedeutet, dass wir uns nicht in alle vier Himmelsrichtungen zerstreuen können.«
Holly holte tief Luft. »Ich muss ihn finden. Er lebt, er ist irgendwo, und ich muss zu ihm.«
Amanda gab nicht nach. »Sagst du das, oder spricht Isabeau aus dir?«
»Ich sage das«, antwortete Holly hitzig. »Jer hat uns schon einmal geholfen und uns vor seinem Vater gerettet, und er kann uns auch jetzt helfen.«
»Das ist also eine rein altruistische Geste«, erwiderte Amanda sarkastisch. »Uns fehlt schon Nicole, und du willst losziehen, um Michael Deveraux' Sohn zu retten, natürlich zum Wohl des Zirkels, als Unterstützung im Kampf gegen das Böse.«
»Ganz genau.« Holly nickte.
»Lügnerin.«
Das Wort hing zwischen ihnen in der Luft. Holly spürte, dass ihre Wangen noch heißer flammten. Sie wusste nicht, was sie wütender machte - der Vorwurf oder die
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