Hexentochter
»Ich würde dir ja vorschlagen hierherzukommen, aber meine Eltern veranstalten eine Art Fundraiser-Party für die Demokraten, und man hat hier einfach keine Ruhe. Reiche, geistlose Liberale legen ihre Pelzmäntel auf mein Bett und drängen mich, für das neue Gewässerreinhaltungsgesetz zu stimmen.«
Trotz ihrer jämmerlichen Laune musste sie lächeln. Tommy Nagai war ihr ganzes Leben lang ihr bester Freund gewesen. Sie waren zusammen durch dick und dünn gegangen, und er hatte immer hinter ihr gestanden. Sie fand es schade, dass sie in letzter Zeit ein bisschen auseinandergetrieben waren, weil die Magie jetzt so viel Zeit in ihrem Leben beanspruchte.
»Ich weiß, es ist riskant, sich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen«, fuhr er fort, »aber wir haben das Half Caff ganz ordentlich mit Bannen gesichert, findest du nicht? Und da Eli und Jer sich nicht mehr dort herumtreiben, halte ich das Café für einigermaßen sicher. Michael ist zu alt, um es zu kennen, außer, die Jungs haben ihm davon erzählt. Und von dieser Familie habe ich nicht den Eindruck, dass sie abends am Esstisch sitzen und sagen: >Soll ich euch von meinem aufregenden, spaßigen Tag erzählen?<«
Es fühlte sich gut an, sogar normal, seinen Witzchen zuzuhören und zu wissen, dass er wieder einmal den edlen Prinzen für sie spielen würde.
»Ich komme«, sagte sie.
»Kann's kaum erwarten, Amanda«, entgegnete er.
Amanda.
Tommy kämmte sich auf der Herrentoilette im Half Caff noch einmal die Haare. Er sah ganz gut aus... für seine Verhältnisse, und wenn einem Amerikaner asiatischer Abstammung gefielen, sogar sehr gut. Er hatte sich von der Party seiner Eltern entschuldigt, indem er aus dem Fenster gedeutet und einem Grüppchen Gäste erklärt hatte, da es seit kurzem regnete, gebe es zumindest für heute reichlich sauberes Wasser, und seine Arbeit hier sei getan. Die Gäste hatten leise gelacht.
Tommy wusste, wie man einen Raum voller Leute unterhielt.
Und ich glaube, dieser Raum hier ist sauber, dachte er, als er sich wieder durch den Lärm des Saals arbeitete, der den wichtigsten Treffpunkt cooler junger Leute in Seattle darstellte. Das Café war mit überdimensionalen Marmorstatuen und Wandgemälden von Wäldern dekoriert und hatte einen Balkon, von dem aus er und Amanda oft ihre Freunde und Feinde aus der Highschool observiert hatten. Ihr erstes Jahr am College war so ziemlich ruiniert, dank Michael Deveraux. Nur Tommy hatte es geschafft, seine Noten zu halten, und auch nur deshalb, weil das leichter war, als sich mit seinen Eltern auseinanderzusetzen, die ihm gewaltigen Druck machen würden, falls seine Leistungen nachließen.
Er stieg die Treppe zum Balkon hinauf und fand einen Tisch für zwei - den Stumpf einer Gipssäule mit einer kreisrunden Glasplatte darauf. Durch den Regen draußen war es ziemlich düster, also hatte das Personal Kerzen in kleinen Kürbissen auf den Tischen verteilt. Fast alle hier trugen irgendein Halloween-Accessoire - Skelett-Ohrringe, T-Shirts mit aufgedruckten Blutflecken -, und Tommy spürte einen Stich der Sehnsucht nach den alten Zeiten, als er und Amanda noch soziale Außenseiter gewesen waren, Nicole ein unerträglicher Snob, und als er Amanda am liebsten geschüttelt und ihr gesagt hätte: »Ich will, dass du meine Freundin bist, Amanda, nicht mein bester Kumpel.«
Ach ja, die Jugend.
Sein Kellner, der als Graf Dracula kostümiert war, nervte ihn so lange, bis er endlich etwas bestellte, und zwar Sachen, die Amanda mochte: Chai Tea Latte und ein Zimtbrötchen. Damit war der Kellner zufrieden, stellte noch zwei Gläser Wasser auf den Tisch und ließ Tommy in Ruhe auf Amanda warten.
Und da ist sie.
Sie eilte nervös herein, schloss den Regenschirm und schüttelte sich ein paar verirrte Regentropfen aus dem lockigen, hellbraunen Haar. Sie hatte es in letzter Zeit nicht mehr so oft schneiden lassen - für so etwas blieb kaum Zeit, wenn böse Zauberer versuchten, einen zu ermorden -, und ihm gefielen die weicheren Konturen um ihr Gesicht.
Sie sah ihn, winkte und kam die Treppe herauf. Sie umarmten sich, weil sie das immer taten, doch diesmal hielt Tommy sie ein paar Herzschläge länger fest.
Sie begann an seiner Schulter zu schluchzen. Erschrocken wich er zurück und erkannte dann, dass sie sich an ihn lehnen wollte. Er schlang die Arme um sie und sagte: »Psst, schon gut, ich hab ein Zimtbrötchen für dich.«
Sie kicherte leise und ging zu ihrem Stuhl.
Das fand er schade, doch er setzte sich
Weitere Kostenlose Bücher