Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
und prallte drinnen gegen die Wand.
Ich unterdrückte im letzten Augenblick einen überraschten Aufschrei.
Das Zimmer war sauber.
Auf dem Boden lagen die gleichen Teppiche wie draußen in der Halle. Der Kronleuchter unter der Decke verbreitete sanftes, gelbes Licht und im Kamin brannte ein behagliches Feuer. Das Bett, das soeben noch ein zerwühlter, mit halb vermoderten, stinkenden Lumpen bedeckter Trümmerhaufen gewesen war, war sauber bezogen, die Decke einladend ein Stück zurückgeschlagen. Auf der Nachtkonsole standen eine Flasche Wein und ein sauberes Glas.
Boldwinn blieb einen Augenblick unter der Tür stehen, blickte demonstrativ nach beiden Seiten und wandte sich dann mit einem übertrieben geschauspielerten Stirnrunzeln an mich.
»Ich … sagte bereits, dass das Zimmer vielleicht nicht ganz Ihren Ansprüchen gerecht wird«, sagte er gedehnt. »Aber es ist sauber und wird für eine Nacht genügen. Immer noch besser als ein Wagen auf einer kalten Straße, oder?«
Ich suchte vergeblich nach Worten. Was ich sah, war unmöglich! Das Zimmer war der reinste Müllhaufen gewesen, vor weniger als zehn Sekunden.
»Was ist mit dir, Rob … Richard?«, fragte Howard leise. Seine Stimme klang besorgt.
»Nichts«, antwortete ich. Es fiel mir schwer, überhaupt zu sprechen. Mühsam schüttelte ich den Kopf, lächelte gequält und blickte verwirrt von Howard zu Boldwinn und zurück. »Nichts«, sagte ich noch einmal. »Es ist in Ordnung. Verzeihen Sie, Mister Boldwinn. Ich … muss mich getäuscht haben.«
Boldwinn zog eine Grimasse. »Die Fahrt war sehr anstrengend, wie?«, fragte er.
Ich verzichtete auf eine Antwort, ging an ihm vorbei und schloss die Tür, so heftig, dass Boldwinn sich mit einem Satz in Sicherheit bringen musste, wollte er nicht die Klinke ins Kreuz bekommen. Mein Herz hämmerte. Für einen Moment drohte so etwas wie Panik meine Gedanken zu übermannen, während ich mich in dem großen, von behaglicher Wärme erfüllten Zimmer umsah. Alles wirkte glänzend und frisch und sauber, als wäre es mit großer Liebe eigens für mich hergerichtet worden.
Aber ich war doch nicht verrückt! Ich wusste doch, was ich gesehen hatte!
Mein Blick suchte den Spiegel über dem Kamin. Für einen Moment wünschte ich mir fast, das Zimmer darin in seinem alten, verwüsteten Zustand zu sehen, aber alles, was ich gewahrte, war mein eigenes Spiegelbild.
Ich erschrak, als ich mein eigenes Gesicht sah. In meinen Augen lag ein gehetzter, wilder Ausdruck, meine Wangen waren eingefallen und meine Haut war bleich und von feinen, glitzernden Schweißperlen bedeckt. Mühsam riss ich mich von dem Anblick los, wandte mich um und ging zum Bett.
Meine Reisetasche stand, geöffnet, aber nicht ausgepackt, an seinem Fußende. Carradine musste unser Gepäck bereits aus dem Wagen geholt und in die Zimmer gebracht haben. Erneut überlief mich ein eisiger Schauer, als ich an den schwachsinnigen, verkrüppelten Diener Boldwinns dachte. Unsere Situation kam mir mit jedem Augenblick unwirklicher vor. Ein halb verfallenes Haus mitten im Wald, bewohnt von einem Exzentriker, der noch dazu einen verkrüppelten Diener hatte … das Ganze hätte die perfekte Vorlage für einen zweitklassigen Gruselroman sein können – aber doch nicht die Wirklichkeit!
Ohne selbst so recht zu wissen warum, packte ich meine Tasche aus und nahm den Stockdegen, der auf ihrem Boden lag, hervor. Wahrscheinlich würde mich Boldwinn für total überdreht halten, wenn ich mit einem Gehstöckchen zum Abendessen erschien, aber das war mir mittlerweile vollends egal. Ich fühlte mich einfach wohler, mit einer Waffe in der Hand.
Auch wenn in mir eine Stimme war, die mir leise, aber sehr bestimmt zuflüsterte, dass mir die Waffe gegen die Gefahren, die in diesem Haus auf uns lauern mochten, herzlich wenig nutzen würde …
Das Erwachen war wie ein mühsames, unendlich langsames Auftauchen aus einem lichtschluckenden, schwarzen Nichts; ein Sumpf aus finsterer Leere, der mit unsichtbaren, klebrigen Fingern nach ihrem Bewusstsein griff und sie immer wieder zurück in das große Vergessen zu zerren trachtete.
Stöhnend schlug sie die Augen auf.
Sie lag auf einer harten, kalten Unterlage. Ein eisiger Hauch kam von irgendwoher und ließ sie frösteln, und an ihrer linken Schulter war etwas Kleines, Weiches, das kitzelte und kribbelte.
Jenny stemmte sich mühsam auf die Ellbogen hoch, fuhr sich mit der linken Hand über die Augen und versuchte Einzelheiten von ihrer
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