Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
Bastkörben, die nach Fisch stanken. Er stöhnte leise und im Laufe der letzten halben Stunde hatte er sich mindestens ein halbes Dutzend Mal übergeben; der Wagen stank durchdringend nach Erbrochenem und Norris’ Gesicht lag in einer Pfütze hellgrauer, übel riechender Flüssigkeit. Bensen drängte seinen Ekel zurück und ging vorsichtig neben Norris in die Knie. Den Wagen hatte er sich ohnehin »ausgeliehen« ohne seinen Besitzer vorher um Erlaubnis zu fragen, und Norris …
Nun, er schien doch ein bisschen mehr als nur zuviel Salzwasser geschluckt zu haben, dachte Bensen düster. Norris hatte aufgehört zu wimmern und um Hilfe zu flehen, aber er war noch bei Bewusstsein. Seine Augen standen einen Spaltbreit offen und seine Hände öffneten und schlossen sich unentwegt; die Fingernägel kratzten dabei über das morsche Holz des Wagenbodens und verursachten scharrende Laute, die Bensen einen eisigen Schauer über den Rücken jagten.
»Wie geht es dir, Junge?«, fragte er.
Norris versuchte den Kopf zu heben, aber er hatte nicht mehr genug Kraft dazu. »Mir ist … so übel«, murmelte er. »Ich habe … Schmerzen. Wo … bringst du mich … hin?«
Bensen seufzte. »Ich passe schon auf dich auf, Kleiner«, sagte er. »Keine Angst. Es wird schon wieder.«
»Nichts … wird wieder«, stöhnte Norris. »Du … du bringst mich nicht … nicht zum Arzt?«
»Nein«, sagte Bensen ruhig. »Jedenfalls nicht heute. Du wirst es schon durchhalten.«
Norris stöhnte, drehte nun doch den Kopf und starrte ihn aus roten, entzündeten Augen an. Bensen sah, dass das Weiße in seinen Augen fast ganz verschwunden war. Seine Pupillen waren unnatürlich vergrößert und seine Gesichtshaut war weiß mit einem Stich ins Gelbliche und da und dort gerissen wie altes trockenes Pergament.
»Ich … ich sterbe, Lennard«, flüsterte er. »Und du … du lässt mich krepieren wie einen Hund, du … du Schwein.«
Bensen lachte leise. »Du redest Unsinn, Kleiner«, sagte er. »Ich bringe dich zu einem Arzt. Morgen. Sowie ich mit Phillips fertig bin. So lange musst du schon durchhalten.«
»Du … du miese Sau«, keuchte Norris. »Du lässt mich verrecken, genau wie du Mahoney hast sterben lassen.«
»Das tue ich nicht«, widersprach Bensen gereizt. »Aber ich lasse mir nicht die größte Chance meines Lebens entgehen, nur weil du dir vor Angst in die Hosen scheißt, Kleiner. Wir machen halbe-halbe, genau wie ausgemacht, auch wenn du nicht dabei bist. Aber du wirst bis morgen durchhalten müssen.« Er lachte rau. »Sieh es von der Seite: Ich habe die Arbeit, und du kassierst.«
»Du …«
»Ich kenne eine Hütte hier in der Gegend«, fuhr Bensen unbeeindruckt fort. »Um diese Jahreszeit kommt da nie einer hin. Ich bringe dich dorthin und morgen Abend komme ich wieder – mit dem Geld. Wenn es dir dann noch nicht besser geht, hole ich einen Arzt.«
»Ich will … dein dreckiges Geld nicht mehr«, stöhnte Norris. »Mach mit Phillips ab, was du willst, aber …« Er brach ab, stöhnte, wand sich wie unter einem Krampf und presste die Hände gegen den Leib. Ein dunkler Fleck bildete sich auf seinem Hemd und plötzlich waren seine Hände feucht. Bensen verzog angeekelt das Gesicht, als er die graue Flüssigkeit sah, die aus seinen Hemdsärmeln lief und zu Boden tropfte. Ein süßlicher, durchdringender Geruch stieg ihm in die Nase.
Zögernd beugte er sich vor, löste Norris’ verkrampfte Hände und drehte ihn auf den Rücken. »Verflucht, was ist los mit dir?«, flüsterte er. Norris antwortete nicht, aber der dunkle Fleck auf seinem Hemd wurde größer, dann erschienen weitere Flecke auf seinen Hosenbeinen und über seiner linken Schulter. Bensen richtete sich angewidert auf, streckte aber kurz darauf wieder die Hand aus und berührte Norris’ Leib. Sein Körper fühlte sich seltsam an: wie weicher Schwamm, gar nicht mehr wie der eines Menschen.
Bensen drängte das Ekelgefühl, das neu und stärker in ihm aufstieg und ihm die Kehle zuschnürte, mit aller Macht zurück, zog sein Taschenmesser aus der Jacke und schnitt Norris’ Hemd auf.
Die Haut, die darunter zum Vorschein kam, war grau. Und es war auch keine menschliche Haut mehr, sondern eine halb aufgelöste, wässerige Masse, wie verfaulter Tang. Sie stank bestialisch.
Bensen erstarrte. Plötzlich sah er ein Bild vor sich: seinen eigenen Fuß, nass und glitzernd von Salzwasser, und einen dünnen, grauen Strang der sich um sein Gelenk geringelt hatte …
Er vertrieb das Bild,
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