Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
mir ein Leichtes gewesen, Sie dort draußen aufzuhalten. Ein paar Sekunden hätten genügt.«
Irgendetwas an seinen Worten irritierte mich – vielleicht die Tatsache, dass dieser sonderbare Mister Mahoney der Meinung zu sein schien, dass ihn allein die Tatsache, dass er mir nicht geschadet hatte, als er es konnte, schon zu meinem Freund machte …
Trotzdem stand ich nach kurzem Zögern auf, legte das Gebetsbuch auf die Bank zurück und sah ihn fragend an. »Wie?«
»Es gibt einen Geheimgang«, erwiderte er und stampfte mit dem Fuß auf. »Direkt unter unseren Füßen. Er beginnt in der Sakristei und endet unmittelbar am Hafen. Er stammt noch aus der Zeit, als diese Küste unter den Wikingerüberfällen zu leiden hatte, wissen Sie? Die Leute flüchteten sich damals hierher, so wie Sie jetzt, und so wie Ihnen hat es ihnen nichts genutzt. Die Wikinger hatten auch keinen Respekt vor dem Kreuz.« Er lachte, drehte sich um und wollte losgehen, aber ich hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück.
»Wer sind Sie?«, fragte ich. »Was sind Sie, Mahoney?«
»Floyd«, verbesserte er mich. »Meine Freunde nennen mich Floyd.«
»Meinetwegen«, antwortete ich grob. »Aber das beantwortet meine Frage nicht.«
Floyd seufzte. Auf seinem Gesicht erschien ein fast trauriger Ausdruck. Behutsam löste er meine Hand von seinem Arm, sah zurück zur Tür und dann zu einem der kleinen Blei verglasten Fenster hinauf, ehe er sich wieder zu mir umwandte.
»Warum vertrauen Sie mir nicht einfach?«, fragte er leise, gab mir aber keine Gelegenheit zu antworten, sondern fuhr fast melancholisch fort: »Vielleicht sind Sie ein paar Mal zu oft enttäuscht worden, wie? Ich glaube, ich kann Sie fast verstehen, Robert. Aber ich bin Ihr Freund. Ich hasse die GROSSEN ALTEN ebenso sehr wie Sie.«
»Sie?«, fragte ich, noch immer misstrauisch. »Sie sind kaum jung genug um …«
»Ich bin dreiundzwanzig, Robert«, unterbrach er mich. »Nicht viel jünger als Sie.«
»Das ist etwas anderes. Ich bin …«
»Etwas Besonderes, ich weiß«, unterbrach mich Floyd spöttisch. »Das glaubt jeder, der es mit diesen Bestien zu tun bekommt. Aber vielleicht haben Sie nicht einmal Unrecht. Sie sind der erste Mensch, den ich kennen lerne, der eine Begegnung mit einem dieser Ungeheuer überlebt hat.« Er hob die Hand und deutete auf die weiße Haarsträhne über meinem rechten Auge. »Das da stammt doch von einem, oder?«
Ich nickte impulsiv. »Gibt es irgendetwas, das … das Sie nicht wissen?«, fragte ich.
»Eine Menge«, antwortete Mahoney ernst. »Aber ich weiß, was mit Ihnen los ist, Robert, und ich glaube, ich weiß auch, wie ich Ihnen helfen kann.«
»Wie?«
»Nicht hier«, antwortete Mahoney ruhig. »Wir müssen hier weg. Am besten gehen wir nach unten, in den Gang. Ich habe keine Ahnung, ob er noch auf voller Länge passierbar ist, aber es gibt dort unten kein Licht. Bis Sonnenuntergang sind wir in Sicherheit.«
»Und dann?«, fragte ich.
»Dann?« Mahoney lächelte. »Dann fahren wir auf das Meer hinaus und holen die Bücherkiste Ihres Vaters. Ich hoffe, Sie können schwimmen.«
Das Pferd war während der letzten halben Stunde immer unruhiger geworden. Die Gewitterfront war näher gekommen und das dunkle Rumpeln und Grollen des Donners erklang jetzt beinahe ununterbrochen, und obwohl die Regenfront noch immer Meilen entfernt war, war die Luft bereits von jenem eigentümlichen Gefühl der Spannung erfüllt, das einem schweren Unwetter vorausgeht und das Tiere mit ihren empfindlichen Sinnen weitaus eher registrieren als Menschen.
Aber das war nicht der einzige Grund für die Nervosität des Tieres. Es hatte geduldig gewartet, Stunde um Stunde, dass der Mann zurückkehrte, der das zweite Tier ausgespannt und damit davongeritten war, aber er war nicht gekommen und es stand noch immer reglos an der gleichen Stelle, unbarmherzig gehalten von den Riemen des Zuggeschirres, die es mit dem Karren verbanden; und er würde auch nicht kommen.
Trotzdem war das Tier nicht allein. Irgendwo hinter ihm bewegte sich etwas, kein Mensch, auch kein anderes Wesen, dessen Geruch es erkannt hätte, aber trotzdem etwas Lebendes, Atmendes. Es spürte seine Bewegungen, seinen fremdartigen, unangenehmen Geruch, die sonderbaren Geräusche, die es verursachte, seine Fremdheit, und dies alles zusammen trieb das Pferd an den Rand der Raserei. Es schnaubte, warf verzweifelt den Kopf in den Nacken und zerrte und zog mit aller Gewalt an den ledernen Riemen, die es
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