Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
keine Ahnung, ob der Portier meine Botschaft wirklich ausgerichtet hatte. Ich hatte einfach nur Angst, allein hier unten zurückzubleiben. Panische Angst.
»Vielleicht haben Sie Recht, Robert«, murmelte Mahoney. »Und wenn nicht, müssen wir alleine handeln. Kommen Sie.«
Ich streckte die Hand aus, fühlte im Dunkeln den Stoff seiner Jacke und hielt ihn mit einem unnötig harten Ruck zurück. »Was ist, wenn … wenn der Mond scheint?«, fragte ich.
»Tut er nicht. Es ist Neumond«, antwortete Mahoney. »Außerdem ist das Unwetter noch lange nicht vorüber. Hören Sie den Donner nicht?«
Ich lauschte angestrengt, aber alles, was ich hörte, war das dumpfe Hämmern meines eigenen Herzens. Mahoney musste über ein schärferes Gehör verfügen als ich. »Nein«, sagte ich.
»Ist aber so«, behauptete er. »Und jetzt kommen Sie. Wir haben keine Zeit.« Er löste meine Hand von seinem Arm, boxte mir aufmunternd in die Rippen und lief los. Ich hörte seine Schritte auf dem Stein der Treppe, tastete vorsichtig mit dem Fuß nach der untersten Stufe und folgte ihm, die Hände wie ein Blinder tastend nach vorne ausgestreckt.
Trotzdem rannte ich von hinten gegen ihn und wäre wahrscheinlich rücklings die Treppe heruntergefallen, wenn er nicht gedankenschnell zugegriffen und mich festgehalten hätte. Plötzlich konnte ich ihn wieder sehen, wenn auch nur als schwarzen, tiefenlosen Schatten vor einem dunkelgrauen Hintergrund. Der Stollen setzte sich vor uns fort, aber er war jetzt nur noch einen knappen Meter hoch. An seinem Ende schimmerte Licht.
»Still jetzt«, zischte er. »Und immer schön hinter mir bleiben – klar?«
Ohne eine Antwort abzuwarten ließ er sich auf die Knie sinken und kroch weiter. Ich folgte ihm.
Der Gang führte steil nach oben und der Boden bestand jetzt nicht mehr aus Stein, sondern aus aufgeweichtem Lehm und Schlamm und nach einer Weile hielt Mahoney wieder an und deutete schweigend nach vorne. Hinter dem grauen Halbkreis des Ausganges waren ineinander verflochtene schwarze Schatten zu erkennen. »Büsche«, erklärte Mahoney. »Sie tarnen den Ausgang. Passen Sie auf, dass Sie sich nicht verletzen.« Er kroch weiter, drückte vorsichtig die Zweige auseinander und blieb halb gebückt stehen, bis ich nachgekommen war.
Die Nacht empfing uns mit eisiger Kälte und dem Heulen des Sturmes. Die dumpfen Echos von Donnerschlägen rollten über die See heran und der Himmel hatte sich in einen brodelnden Hexenkessel verwandelt. Salzwassergeruch und das dumpfe Grollen heranrollender Wellen schlugen uns vom Meer entgegen.
Ich blieb gebückt neben ihm stehen, sah mich nach allen Seiten um und senkte automatisch den Blick. Der Boden war vom Regen aufgeweicht; ich war fast bis an die Knöchel im Morast eingesunken und in meinen Füßen breitete sich ein Gefühl betäubender Kälte aus. Aber es gab keinen Schatten. Es war Nacht und die Wolkendecke verschluckte sogar das wenige Licht der Sterne.
Mahoney lächelte, als er meinen Blick bemerkte. »Keine Sorge«, sagte er. »Im Moment sind wir in Sicherheit.« Er wurde übergangslos ernst. »Aber der Sturm wird nicht ewig andauern und irgendwann wird es wieder Tag. Wie heißt das Boot, das Lovecraft gemietet hat?«
»Keine Ahnung«, gestand ich. »Ich habe nie mit ihm darüber gesprochen. Er wollte nicht, dass ich mitkomme. Er wollte nicht einmal, dass ich in die Nähe des Hafens gehe.«
Mahoney zog eine Grimasse und zuckte gleich darauf mit den Schultern. »Das macht auch nichts«, seufzte er. »So groß ist der Hafen ja nicht. Kommen Sie.«
Wir gingen los. Mahoney huschte geduckt und lautlos wie ein Schatten vor mir her und ich musste mich beeilen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Obwohl wir uns wieder unter freiem Himmel aufhielten, war es kaum heller als unten im Stollen – die Wolken schluckten alles Licht und das Meer breitete sich wie ein gewaltiges schwarzes Loch direkt unter uns aus. Selbst die Schiffe, die an der schmalen Mole vor Anker lagen, waren nur als verschwommene dunkle Umrisse zu erkennen. Nirgends brannte Licht, und als ich im Laufen den Kopf wandte und zur Stadt zurückblickte, sah ich, dass auch hinter den Fenstern der Häuser die meisten Lichter erloschen waren. Es war beinahe unheimlich. Vorhin, als ich vor meinem eigenen Schatten geflohen war, hatte ich die Dunkelheit herbeigesehnt. Jetzt fürchtete ich sie plötzlich fast.
Mahoney lief etwas langsamer und wartete, bis ich an seine Seite gekommen war. »Das Boot dort hinten«,
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