Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser
verdreckten und mit Brandflecken übersäten Kleider und das eingetrocknete Blut an seinem Haaransatz ließen ihn wild und gleichzeitig abenteuerlich aussehen. Shannon war kein Narziss, aber er war mit Recht stolz auf seinen Körper. Und er wusste darüber hinaus, wie wichtig es war, dieses empfindliche, unersetzliche Werkzeug seines Geistes zu pflegen und ständig in Höchstform zu halten. In den letzten Tagen hatte er gleich mehrmals nur überlebt, weil er im wahrsten Sinne des Wortes in der Lage gewesen war, Übermenschliches zu vollbringen.
Shannon beendete seine Musterung, rieb das eingetrocknete Blut mit dem Handrücken von der Stirn, so gut es eben ging, und wollte sich zur Tür wenden, als irgendetwas seine Aufmerksamkeit erregte. Das schmale Jungengesicht seines Spiegelbildes blickte plötzlich misstrauisch drein.
Im ersten Moment sah er nichts Auffälliges, aber dann gewahrte er einen Schatten, der sich dicht hinter ihm bewegte, nicht viel mehr als ein Luftwirbel oder ein flüchtiger Hauch.
Shannon fuhr ansatzlos herum, riss die Arme hoch – und erstarrte.
Das Zimmer war leer. Aber plötzlich spürte er wieder den Atem des Fremden, Feindseligen, der wie ein übler Geruch im Zimmer zu hängen schien. Es war ein Gefühl, als schlösse sich eine unsichtbare Hand um ihn, langsam, aber unbarmherzig. Verwirrt wandte er sich wieder um. Sein Herz begann zu rasen, als er erneut in den Spiegel sah.
Der Schatten war wieder da. Deutlicher jetzt als zuvor, als verdichte sich die Finsternis hinter ihm ganz allmählich zu einem Körper.
Aber hinter ihm war nichts!
Eine eisige Hand schien Shannons Rücken zu streifen, als er begriff, dass der Schatten nicht hinter ihm, sondern nur hinter seinem Spiegelbild war, und dass -
Er spürte die Gefahr beinahe zu spät.
Eine rasche, wellenförmige Bewegung lief über die Oberfläche des Spiegels, ein Zucken wie eine plötzliche Erschütterung in stillem Quecksilber, und von einem Sekundenbruchteil zum anderen wurde aus dem Schatten ein Körper, aus dem wogenden Schwarz ein Gesicht. Ein schmales, aristokratisch geschnittenes Gesicht, von einem dünn ausrasierten Bart beherrscht, ein Gesicht mit stechenden Augen und einem dünnen, grausamen Mund, darüber rabenschwarzes Haar mit einer weißen Strähne wie ein gefrorener Blitz …
Und dann hob die Gestalt die Arme, und ihre Hände griffen aus dem Spiegelbild heraus und legten sich um Shannons Hals!
Shannon schrie auf, warf sich zurück und versuchte den Würgegriff mit einem verzweifelten Schlag zu sprengen. Genauso gut hätte er versuchen können, einen Berg mit bloßen Händen beiseite zu schieben. Der Druck auf seine Kehle verstärkte sich eher noch.
Shannon keuchte und riss das rechte Bein in die Höhe. Seine Kniescheibe traf den Spiegel mit der Wucht eines Hammerschlages und zerschmetterte ihn vollends, aber hinter dem zerberstenden Glas war nichts, nur ein Schatten, ein Spiegelbild ohne reale Substanz. Und trotzdem spürte er den Griff des Unheimlichen weiter …
Shannon begann zu wanken. Rote, flammende Ringe tanzten vor seinen Augen auf und ab und in seinen Lungen begann ein grausamer Schmerz zu rasen. Er fühlte, wie seine Kraft nachließ, wie die Hände Cravens das Leben aus ihm heraus pressten und …
Craven.
Der Name erschien wie mit flammenden Lettern geschrieben vor Shannons Augen.
Irgendetwas schien in ihm zu zerbrechen. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, kehrten seine Erinnerungen endgültig zurück. Plötzlich wusste Shannon, wem er gegenüberstand – Robert Craven, dem Sohn des Magiers! Dem Mann, den zu vernichten er hergekommen war.
Der Gedanke gab ihm noch einmal neue Kraft. Er spürte, wie der Hass in ihm emporkochte wie eine Woge aus glühender Lava, griff danach und wandelte ihn um in Kraft, so, wie es ihn Necron gelehrt hatte.
Mit einem verzweifelten Schlag sprengte er Cravens Griff, stürzte rücklings auf das Bett und wälzte sich blitzschnell zur Seite, als die Gestalt im Spiegel die Hand hochriss. Ein blau-weißer Blitz sengte dicht neben seinem Kopf in die Kissen und verbrannte sie zu Asche.
Shannon fuhr herum, erhob sich mit einem Satz auf die Knie und schlug mit aller geistiger Macht zu. Die Gestalt hinter dem Spiegel schien zu flackern. Für einen Moment war es, als zeichneten kleine gelbe Flammen ihre Konturen nach; sie taumelte, verlor für die Dauer eines Herzschlages an Substanz und verdichtete sich wieder. Ihre Hände hoben sich. Blaue Elmsfeuer zuckten über ihre
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