Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser
das Buch?«, fragte der Alte stockend.
Dein albernes Buch interessiert mich nicht, antwortete die Stimme. Nimm es dir, wenn dir soviel daran liegt, doch hüte dich, meine Pläne zu durchkreuzen. Du wirst warten, bis alles vorüber ist. Danach kannst du dir dein närrisches Buch nehmen, wenn du willst. Und den Rest der Welt dazu.
Und diesmal war der Alte sicher, ein dunkles, unendlich böses Kichern aus den Schatten zu vernehmen.
Mit einem Male war ihm kalt. Sehr kalt.
Schweigend stand er da und wartete, dass die Stimme weitersprach, aber sie schwieg, und als er es nach einer Weile wagte, vorsichtig den Blick zu heben, war die Schattengestalt verschwunden.
Mit einem lautlosen Aufatmen wandte er sich um und ließ seinen Blick über die Reihe der Krieger gleiten. Er spürte ihre Furcht, die Panik, die ihre Gedanken durchdrungen hatte. Sie waren tapfere Männer, vielleicht die tapfersten, die es in diesem Teil der Welt gab. Jeder von ihnen hätte sich ohne zu zögern in sein Schwert gestürzt, hätte er es verlangt. Aber was sie gesehen hatten, war kein Wesen von dieser Welt gewesen. Nicht einmal ein Dämon, denn auch den hätten sie kaum gefürchtet.
Was sie gesehen hatten, war das Grauen selbst gewesen, ein Ding aus Schatten und Furcht und Gestalt gewordenem Entsetzen.
Nein – er konnte es ihnen nicht verübeln, dass sie Angst zeigten, denn auch in seine Gedanken hatte sich die Furcht gekrallt. Trotzdem klang seine Stimme kalt wie immer, als er die Hand hob und auf einen der Männer deutete. »Du!«
Der Krieger trat vor und senkte demütig das Haupt.
»Du wirst gehen und den Mann suchen, den ich dir beschrieben habe«, sagte Necron. »Die anderen bleiben mit mir hier und warten, bis du zurück bist.«
In den Augen des Mannes blitzte es erschrocken auf. »Herr!«, sagte er. »Ich habe gehört, was -«
»Du hast gehört, was ich gesagt habe, oder?«, unterbrach ihn Necron. Seine Stimme klang schneidend. »Du sollst ihn nur suchen, weiter nichts. Du wirst nichts unternehmen. Nichts! Du wirst ihn finden und mir melden, wo er sich aufhält. Aber er darf dich nicht sehen! Ist er durch deine Unachtsamkeit gewarnt, wirst du es mit dem Leben bezahlen. Oder bist du anderer Meinung?«
»Nein, Herr«, flüsterte der Krieger. »Verzeiht meine Unverschämtheit.«
Necron machte eine wegwerfende Handbewegung. »Schon gut. Ich verstehe deine Verwirrung. Aber jetzt geh.«
Seine Hand vollführte eine rasche, komplizierte Geste. Ein kaltes, bläuliches Licht glomm auf, zeichnete die Konturen des Kriegers wie flackerndes Elmsfeuer nach – und erlosch.
Und mit ihm verschwand der Krieger.
Necron blieb noch einen Moment reglos und wie erstarrt stehen. Sein Blick war unverwandt auf die Stelle gerichtet, an der der Mann gestanden hatte, aber seine Augen sahen ins Leere. Und auf seinen Lippen erschien, ganz langsam, ein dünnes, beinahe triumphierendes Lächeln.
O ja, er hatte gehört, was er gesagt hatte. Aber er hatte auch die Unsicherheit in seiner Stimme vernommen. Und er hatte zwischen den Worten gelauscht und erkannt, dass ihre Macht lange nicht mehr so gewaltig war wie einst.
Vielleicht würde ihm Craven entgehen, aber das spielte keine Rolle. Er hatte zweihundert Jahre auf diesen Tag gewartet – welche Rolle spielten da ein paar Tage oder Wochen?
Aber er würde das Buch bekommen. Noch heute.
Doch dafür musste er den Sohn des Hexers noch vor dem GROSSEN ALTEN finden. Nur Craven selbst wusste, wo das NECRONOMICON versteckt lag. Nein, er würde Craven nicht töten. Er würde ihm sein armseliges Leben lassen, für Cthulhu. Aber er würde sich das Buch holen.
Und wenn er es hatte, dachte er, die Worte des GROSSEN ALTEN in Gedanken wiederholend, dann würde er sich den Rest der Welt dazu nehmen. Dann gab es niemanden mehr, den er noch fürchten musste.
Nicht einmal die GROSSEN ALTEN selbst.
Das Zimmer lag im obersten Stockwerk des Hauses, unmittelbar unter dem Dach. Eine breite Marmortreppe hatte uns in die zweite Etage geführt, dann hatten wir eine versteckte Tapetentür durchschritten und waren über eine weitere, diesmal hölzerne Treppe hier hinauf unter das Dach gestiegen, wo das Haus nicht mehr von Symbolen des Reichtums und Wohlstandes strotzte (was mir äußerst angenehm auffiel). Doch alles wirkte frisch und ordentlich, als wäre es erst vor wenigen Tagen renoviert worden. In der Luft hing noch der Geruch von Farbe und Leim, alles war hell und freundlich – im Grunde fühlte ich mich hier wohler als
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