Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser
liebst?«, fragte Howard nach einer Weile. Er hob die Hand und machte eine besänftigende Geste, als ich schon wieder auffahren wollte. »Überlege dir deine Antwort gut, Robert. Ich verstehe deine Gefühle, aber … bist du sicher, dass es nicht doch nur Mitleid ist?«
Diesmal blieb ich ihm die Antwort schuldig, wandte nur mit einem Ruck den Kopf und starrte die Tür an, hinter der Priscyllas Zimmer lag. Meine Augen brannten. Es war nicht das erste Mal, dass ich diese Frage hörte. Ich hatte sie mir selbst gestellt in den letzten Monaten, immer und immer wieder.
Aber ich hatte nie eine Antwort gefunden.
»Schon gut, Junge«, sagte Howard, als ihm die Bedeutung meines anhaltenden Schweigens klar wurde. »Ich wollte keine alten Wunden aufreißen. Aber wir sollten darüber reden. Später.«
Priscylla schlief noch immer, als wir das Zimmer durchquerten und wieder auf den Korridor hinaustraten. Howard schloss die Tür und lächelte mir noch einmal ebenso aufmunternd wie falsch zu.
»Der Lunch ist unten im Salon vorbereitet«, sagte er, während wir die Treppe zur Tapetentür hinabstiegen. »Aber vorher muss ich dir noch etwas sagen. Wir -«
Der Rest seiner Worte ging in einem dunklen, unglaublich machtvollen Dröhnen unter.
Ich hatte das Gefühl, das Haus unter meinen Füßen erheben zu fühlen. Fast wäre ich die Treppe hinuntergestürzt. Ein zweiter, lang hallender Schlag folgte, dann ein dritter, vierter; es war das gleiche, unheimliche Dröhnen, das ich schon draußen vor dem Haus gehört hatte, ein Schlagen wie von einem gigantischen, dunklen Gong, der mich zurücktaumeln und vor Schmerz aufstöhnen ließ, selbst, als der fürchterliche Laut endlich mit einem letzten, vibrierenden Nachhall endete.
Howard blinzelte verwirrt, als ich die Hände von den Schläfen nahm. »Was ist los, Robert?«, fragte er. In seiner Stimme klang echte Verwunderung.
Ich starrte ihn an. »Das … das Läuten«, stotterte ich. »Du musst es doch gehört haben.« Ich stockte und sah ihn fassungslos an. »Du hast … nichts gehört?«, fragte ich.
Howard verneinte. »Nichts. Wovon zum Teufel sprichst du?«
Ich antwortete nicht. Vorhin, als er mich begrüßt hatte, hatte ich noch an einen kindischen Scherz geglaubt, den Gray und er sich zu meiner Begrüßung ausgedacht haben mochten. Aber er sagte die Wahrheit – er hatte wirklich nichts gehört!
»Ich muss mich geirrt haben«, murmelte ich verstört. »Entschuldige, Howard. Ich bin übermüdet, glaube ich.«
Howards Blick war jetzt eindeutig besorgt. Aber er sagte nichts mehr, sondern ging die letzten Treppenstufen hinab und trat durch die stahlverstärkte Tapetentür.
Ich bemerkte die Bewegung im letzten Augenblick, sprang mit einem entsetzten Schrei vor und riss ihn an der Schulter zurück; den Bruchteil einer Sekunde, ehe die Tür mit einem berstenden Schlag ins Schloss krachte!
Die Erschütterung riss uns beide von den Füßen. Die Tür bebte und das Dröhnen, mit dem sie ins Schloss gekracht war, hallte noch lange in meinen Ohren. Kalk und kleine Holzsplitter rieselten aus dem geborstenen Rahmen und im oberen Teil der Tür klaffte plötzlich ein fingerbreiter, gezackter Riss. Aber sie war doch aus Eisen!
Ich stemmte mich wieder hoch und näherte mich vorsichtig der Tür. Howard sagte kein Wort, aber in seinen weit aufgerissenen Augen flackerte die Angst. Die Tür war nicht durch Zugluft oder eine Laune des Zufalls zugefallen, sondern – wie von einem titanischen Fußtritt getroffen – ins Schloss geworfen worden. Nur ein Schritt mehr und Howard wäre zerquetscht worden. Der Türrahmen war geborsten und selbst im Mauerwerk zeigten sich Risse.
»Mein Gott …«, stammelte Howard. »Was war das?«
Die Antwort auf diese Frage wusste ich so wenig wie er. Draußen auf dem Flur hatte niemand gestanden, das hatten wir beide gesehen. Es war, als hätte sich die Tür von selbst bewegt …
Howard wollte die Hand nach dem Knauf ausstrecken, aber ich hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück, trat an ihm vorbei und berührte die Tür vorsichtig mit den Fingerspitzen.
Ich lauschte. All meine Sinne waren zum Zerreißen gespannt, nicht nur die normalen menschlichen Sinne. Ich wusste nicht genau, was ich erwartete – vermutlich nichts Bestimmtes.
Aber ich fühlte auch nichts. Das Eisen der Tür war glatt und tot. Es gab nichts; kein Anzeichen irgendeines fremden Einflusses, schwarzer Magie oder des üblen Atems der GROSSEN ALTEN. Die Tür war eine Tür, mehr
Weitere Kostenlose Bücher