Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
und sah auch schon den Erfolg greifbar vor mir. Da griffen die schwarzen Mächte des Labyrinths ein und störten meine Zeremonie. Ich versuchte mich gegen sie zur Wehr zu setzen, doch ich war nicht auf diesen Angriff vorbereitet und unterlag. Mein Diener und ich wurden von dem Wesen des Labyrinths bezwungen und zu dem gemacht, was wir heute sind. Und was Sie morgen sein werden, wenn Sie meinen Rat nicht befolgen, Craven!«
Morjaerds Stimme schwoll an und seine letzten Worte trafen mich wie Peitschenhiebe. Ich erschrak, denn ich nahm in Morjaerd Kräfte wahr, die jeder Beschreibung spotteten. Vor mir stand nicht der linkische und verschrobene Hokuspokusexperte, den Howard in London kennengelernt hatte, sondern tatsächlich ein Träger wahrer magischer Macht. Mit ihm als Verbündeten konnte es sehr wohl gelingen, das Geheimnis, das uns umgab, zu enträtseln.
»Was raten Sie mir?«, fragte ich ihn mit scheinbar eingeschüchterter Miene.
In seinen Augen flammte es triumphierend auf. »Das erfahren Sie, wenn ich Sie tiefer in die Geheimnisse des Labyrinths eingeweiht habe und Sie bereit sind, sich meiner überlegenen Führung anzuvertrauen!«
Zuerst stürmten nur verworrene Muster auf Shannon ein, die wenig Ähnlichkeit mit dem Spinnennetz des Labyrinths besaßen. Dann nahm er wirre Bilder von hoch aufragenden Tempeln und Häusern wahr und sah in tiefe Keller und Höhlen. Zuletzt entdeckte er bleiche, kalte Gestalten, die keine Menschen mehr waren, weil das Labyrinth ihnen die Lebensessenz geraubt hatte.
Er stöhnte und warf seinen Körper wie in einem Albtraum herum. Dann strömte ihm neue Energie aus seinem Inneren zu und gab ihm die Kraft, seine Gedanken zu klären. Für einen flüchtigen Augenblick sah er noch einmal Schatten und bizarre, sinnlose Dinge. Dann stürmten die Informationen, die er benötigte, wie ein Wasserfall auf ihn ein.
Als erstes leuchtete die kobaltfarbene Sonne im Zentrum des Labyrinths auf. Dann folgte das Spinnennetz, welches die Wege durch das Gewirr bezeichnete. Gleichzeitig entdeckte er sich selbst und nahm befriedigt wahr, dass er ein gutes Stück näher an das Zentrum des Labyrinths herangekommen war. Als nächstes wurde sein geistiger Blick auf den graublauen Stern gelenkt, der den Labyrinthmagier Adurias darstellte.
Shannon bemerkte, dass sich nur mehr zwei Wächter des Labyrinths bei Andurias aufhielten. Zwar befand sich ein einzelner, kleiner, dunkler Stern in der Nähe des Labyrinthmagiers, doch dabei handelte es sich um keinen Wächter, höchstens um eine Gestalt die sich in der Entwicklung zum Wächter befand.
Also musste der dritte Wächter, den Shannon bei der Orientierung vor seinem Eindringen in das Labyrinth entdeckt hatte, in der Zwischenzeit umgekommen sein. Doch dazu waren Kräfte vonnöten, wie sie nur ein so gründlich ausgebildeter Magier wie er besaß.
Seine Beobachtung konnte nur eines bedeuten – nämlich dass sich noch jemand in diesem Gewölbe aufhielt, um das Geheimnis des Zentrums zu enträtseln. Trotz des Trancezustandes, in dem sich Shannon befand, krampfte sich seine Rechte um den Dolch. Es darf dir niemand zuvorkommen, hörte er in Gedanken seinen Meister befehlen. Erregt durchsuchte er das Labyrinth. Plötzlich entdeckte er jenseits des Zentrums zwei helle Sterne.
Einer davon wirkte so kalt wie die Wintersonne und war irgendwie dem Labyrinth verhaftet. Der ist unwichtig, befand Shannon und konzentrierte alle Energie auf den anderen. Nicht lange, da schälte sich vor seinen Augen ein schmales Gesicht heraus. Er sah die hohen Backenknochen, den gepflegten Bart und die weiße, wie ein Blitz gezackte Strähne im schwarzen Haar so deutlich vor sich, dass ihn sein eigener Aufschrei aus der Trance herausriss.
»Das Herz des Labyrinths«, erklärte Morjaerd, »wurde vor unendlichen Zeiten von den GROSSEN ALTEN als ein Zentrum ungeheurer magischer Kräfte geschaffen. Welchen Zweck sie damit verfolgten, habe ich leider nicht herausfinden können. Nur eines ist sicher: Das Labyrinth selbst hat damals noch nicht existiert. Erst als die GROSSEN ALTEN bezwungen wurden und diesen Pol magischen Potenzials nicht mehr kontrollierten, konnte es sich selbstständig machen und zu wachsen beginnen. Es wurde im Verlauf der Jahrhunderttausende immer stärker und begann zuletzt eigenes Leben und eigene Intelligenz zu entwickeln. Doch schon bald reichten die Kraftreserven nicht mehr aus, die das neu geschaffene Wesen dem magischen Pol, aus dem es entstanden ist,
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