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Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire

Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire

Titel: Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ausgestochene Augen auf die Straße hinabzustarren schienen, flößten ihnen Furcht ein und der eingesunkene Dachstuhl mit den nackten, halb verwitterten Balken erinnerte sie an das Skelett eines gewaltigen urzeitlichen Ungeheuers, das die Jahrmillionen überdauert hatte, um hier zu sterben.
    Hoch unter diesem eingestürzten Dach, in einem finsteren, von Feuchtigkeit und Moder durchtränkten Winkel des morschen Gebälkes, nisteten die Motten.
    Es waren keine besonderen Tiere. Selbst im Vergleich mit anderen ihrer Art hätten sie nicht gut abgeschnitten: Sie waren klein, nicht einmal einen Zentimeter lang, unansehnlich und blass. Ihre Flügel wirkten immer ein bisschen zerknittert und sahen aus wie mit klebrigem grauen Staub bedeckt.
    Das einzig Sonderbare an ihnen war vielleicht ihre Art zu leben. Anders als es Motten normalerweise tun, nisteten sie in einem großen, wie ein Bienenkorb an einem abgebrochenen Balken hängenden Klumpen, einem Ball aus winzigen Fasern, aus Abfall und Moder und zerkauten Pflanzenteilchen. Das Innere dieses Balles wurde von einem Labyrinth tausender feiner Gänge und Kavernen durchzogen, Kriechgänge, in denen sich die blinden grauen Larven der Motten fortbewegten und fraßen, bis sie groß genug waren, sich zu verpuppen und kurz darauf selbst als unansehnliche verkrüppelte Schmetterlingswesen ans Tageslicht zu kriechen.
    Sie waren harmlos, diese Stiefkinder der Natur. Hässliche kleine Ungeheuer, die niemandem Schaden zufügen konnten, und erschlagen wurden, wo man sie sah. Eine Laune der Natur, ohne die Fähigkeit, in dem gnadenlosen Kampf der Evolution lange zu überdauern.
    Bis zu diesem Augenblick.
    Der Mann war mit einer Mietkutsche gekommen, aber er hatte den Wagen lange, bevor er den Block erreichte, verlassen und fortgeschickt, um die letzten paar hundert Schritte zu Fuß zu gehen.
    Der Kutscher hatte ihm einen sonderbaren Blick zugeworfen, als er mit einer Zehn-Pfund-Note bezahlte und sich herumdrehte, ohne auf sein Wechselgeld zu warten, aber er war sofort abgefahren, froh aus der Gesellschaft dieses sonderbaren, schweigsamen Mannes, den eine seltsame Aura des Unheimlichen und der Gefahr zu umgeben schien, entkommen zu können.
    Niemand hatte den Fremden gesehen auf dem Weg hierher. Lautlos war er von Ruine zu Ruine gehuscht, auf der Suche nach etwas, von dem er selbst nicht wirklich wusste, was es war, das er aber erkennen würde, sobald er es fand.
    Schließlich hatte er das Haus betreten. Nachdem er Zimmer für Zimmer durchsucht hatte, war er hier hinauf gelangt, in den zerfallenen Dachstuhl.
    Dort hatte er die Motten entdeckt.
    Lange, Stunde um Stunde, war er so stehen geblieben, eine Statue, die zur Reglosigkeit erstarrt war, bis er selbst zu einem Teil dieser staubigen, verfallenen Umgebung geworden zu sein schien.
    Und doch tat er etwas.
    Etwas ging mit diesen kleinen, harmlosen Tieren vor sich. Sie spürten es nicht und ihren primitiven Nervensystemen war die Veränderung nicht einmal bewusst. Sie hatten nichts, was man mit einem Gehirn vergleichen konnte oder was gar in der Lage gewesen wäre, zu denken.
    Aber als die Veränderung abgeschlossen war, waren sie keine harmlosen kleine Schädlinge mehr.
    Sie waren zu Killern geworden.
    Der Fremde ging, ehe die Sonne den Horizont erreicht hatte, und wieder nahmen die Motten keine Notiz von ihm, denn er gehörte zu einer Welt, die für die primitiven Sinne der kleinen Insekten auf ewig bizarr und fremd und unverständlich bleiben musste. Er würde wiederkommen, an diesem Abend und auch an den nächsten, aber auch das würden sie nicht bemerken.
    Für die Motten hatte sich nichts geändert. Die Welt war, wie sie immer gewesen war – groß, unverständlich und voller Gefahren und Beute.
    Und doch waren sie zu etwas ganz anderem geworden …
    Als sich das nächste Mal die Dämmerung über die Stadt senkte und eine Heerschar winziger hässlicher Motten aus dem Haus aufstieg, um in der näheren Umgebung nach Nahrung und Beute zu suchen, teilte sich ein winziger Teil der Tiere vom Hauptschwarm ab und flog lautlos nach Westen.
    Mit ihnen flog der Tod.
     
    Mit der Dämmerung hatte sich auch über das Haus Stille und Dunkelheit gesenkt, eine Dunkelheit, die bedrückend wirkte, und eine Stille, die mich an das Schweigen eines steinernen Mausoleums erinnerte.
    Ich machte mir schwere Vorwürfe. Howard hatte die Bibliothek verlassen und war in sein Zimmer gegangen und ich hatte ihn bisher nicht wieder gesehen; auch nicht zum Essen.

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