Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
an der Wand starren.
»Du solltest besser auf deine Papiere Acht geben«, sagte ich. »Du könntest Ärger bekommen, wenn du sie verlierst.«
»Das … stimmt«, antwortete Howard. Seine Finger hatten die Seite aufgeblättert, auf der seine persönlichen Daten standen. Ich sah, wie er im letzten Moment ein erleichtertes Aufatmen unterdrückte, als sein Blick auf das Geburtsdatum fiel.
Rasch klappte er den Pass zu und schob ihn in die Hosentasche. »Ich werde ihn in meinen Koffer legen«, sagte er. »Am besten sofort, ehe ich es wieder vergesse.«
Er wollte aufstehen, aber ich hielt ihn mit einer raschen Geste zurück. »Warte«, sagte ich. »Du hast … noch etwas verloren. Das hier.«
Und damit zog ich den zweiten Pass aus der Schublade, legte ihn zwischen uns auf den Tisch und machte eine auffordernde Geste.
Howard erbleichte. Seine Lippen begannen zu zittern. Um ein Haar wäre ihm die Zigarre aus dem Mund gefallen. Ungläubig starrte er den Pass in seiner Hand an, dann den zweiten, der zwischen uns lag. Dann bohrte sich sein Blick in meine Augen.
»Du … du hast -«
»Ich habe nichts«, unterbrach ich ihn. »Deine Jacke ist wirklich zerrissen. Der da« – ich deutete mit einer Kopfbewegung auf den zweiten Pass – »fiel heraus, als ich den anderen zurückstecken wollte.«
Howard schluckte ein paarmal. Sein Adamsapfel begann hektisch auf und ab zu hüpfen. Dann riss er den Pass mit einer abrupten Bewegung an sich und presste ihn an die Brust wie einen Schatz.
»Ich habe hineingesehen«, sagte ich leise.
»Und?« Howards Stimme klang störrisch. »Ich habe einen falschen Pass. Überrascht dich das? Willst du mich jetzt bei der Polizei anzeigen?« Das Lachen, mit dem er diese Worte hervorbrachte, klang unecht und nervös. »Unten in meinem Koffer liegen noch drei oder vier. Es gibt manchmal Situationen, in denen es von Vorteil ist, unter einem anderen Namen zu reisen.«
»Auch als ein Mann, der noch gar nicht geboren ist?«, fragte ich ruhig.
Diesmal dauerte es lange, bis Howard antwortete. Eine Weile blickte er mich nur an, aber der Zorn, den ich erwartete, kam nicht. In seinem Blick stand eher ein Ausdruck von Trauer. Vielleicht Bestürzung.
Und Enttäuschung.
Schließlich klappte er den Pass auf, legte ihn aufgeschlagen vor sich auf den Tisch und zog auch den anderen aus der Hosentasche hervor, um ihn daneben zu legen. »Ich könnte jetzt sagen, dass … es sich dabei um einen Fehler handelt«, sagte er. »Ein Irrtum, den der Fälscher begangen hat.«
»Das könntest du«, bestätigte ich.
Howards Blick flackerte. »Aber du würdest mir nicht glauben.«
»Nein«, antwortete ich. »Das würde ich nicht, Howard. Welcher von diesen beiden Pässen ist echt?« Ich beugte mich und berührte den zweiten Pass, den mit dem unmöglichen Geburtsdatum. Howards Hand zuckte in einer erschrockenen Bewegung vor, als wolle er mir das Dokument entreißen. Aber er führte die Bewegung nicht zu Ende.
»Das ist der echte«, behauptete ich. »Aber damit kannst du dich schlecht in irgendein Amt wagen, nicht wahr? Nicht als ein Mann, der erst in fünf Jahren geboren wird.«
»Und wenn es so wäre?«, murmelte Howard.
»Wer bist du?«, fragte ich. Ich gab mir Mühe, ruhig zu sprechen, aber ich hörte selbst, wie verzerrt und fremd meine Stimme klang. »Wer bist du, Howard?«
Eine endlose Sekunde lang hielt er meinem Blick stand, dann senkte er den Kopf, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit einem erschöpften Seufzer über Kinn und Mund. Ich hatte ihn nie so verwirrt und aus der Fassung gebracht wie in diesem Moment. Aber er schwieg.
»Ich hätte es wissen müssen«, murmelte ich, als Howard auch nach einer Weile keine Anstalten machte, auf meine Frage zu antworten oder in irgendeiner Art zu reagieren. »Ich war ein Narr, Howard. Und du hast mich genauso behandelt, wie ich es verdient habe. Wie einen Trottel.«
»Unsinn«, murmelte Howard.
»Nein, das ist ganz und gar kein Unsinn. Die Beweise waren deutlich genug. Erinnerst du dich an unser Zusammentreffen mit Lyssa?«
Howard antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. Keiner von uns hatte die Szene vergessen. Auch nicht die Worte, die Howard zu der Hexe gesagt hatte, die von Priscyllas Körper Besitz ergriffen hatte.
»Du hast dich nicht verändert seit Salem«, zitierte ich seine Worte aus dem Gedächtnis. »Salem, Howard. Damals hielt ich es für Rhetorik, eine reine Redewendung. Aber es war genau das, was du gesagt hast. Du hast
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