Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
ab, schob die Tür hinter mir ins Schloss und eilte auf ihn zu, blieb aber auf halbem Wege stehen. Auf seinem breitflächigen Gesicht stand ein Ausdruck, den ich mir nicht erklären konnte. Irgendetwas zwischen Trauer und Vorwurf.
»Du bist … nicht unten?«, fragte ich vorsichtig.
»Howard kommt mit dem Gepäck schon allein zurecht. Aber er glaubt auch, dass ich in meinem Zimmer bin und schlafe. Er weiß nicht, dass ich hier bin, und er muss es auch nicht wissen. Ich muss mit dir reden«, sagte Rowlf. Seine Stimme klang verändert. Sehr ernst. »Wenn du Zeit hast, heißt das.«
»Natürlich.« Ich wandte mich zu dem kleinen Teewagen neben der Tür, auf dem Gläser und Flaschen bereitstanden. »Einen Drink?«, fragte ich. Rowlf nickte und ich schenkte für uns beide Whisky ein. Meine Hände zitterten so stark, dass die Eiswürfel wie ein kleines Glockenspiel klirrten, als ich mit den Gläsern zu Rowlf ging.
Er nahm mir eines davon aus der Hand, nippte daran und sah zu, wie ich mich nervös in den Sessel sinken ließ und mein Glas mit einem einzigen Zug zur Hälfte leerte. Prompt verschluckte ich mich und hustete qualvoll.
Aber das spöttische Lachen, das ich von ihm erwartete, blieb aus. Und jetzt, im Nachhinein, fiel mir auch noch etwas auf: Rowlfs Dialekt war verschwunden. Er hatte das reinste Oxford-Englisch gesprochen, das ich jemals gehört hatte. Bisher hatte er seinen Slang, den er normalerweise sorgsam pflegte und zur Perfektion zu entwickeln versuchte, nur ganz wenige Male in meiner Gegenwart vergessen – und da war er in Lebensgefahr gewesen.
»Also?«, fragte ich, nachdem ich wieder einigermaßen zu Atem gekommen war. »Was gibt es?«
»Du hast mit Howard gesprochen?«
Ich nickte. Mein Gesicht verdüsterte sich. War er gekommen, um mir Vorwürfe zu machen?
»Er packt«, murmelte ich. »Aber das weißt du sicher schon.«
»Ja«, antwortete Rowlf. »Deshalb muss ich mit dir reden. Vielleicht hört er auf dich. Mich hat er gar nicht erst zu Wort kommen lassen.«
»Auf mich?« Ich schluckte im letzten Moment das schrille Lachen herunter, das in meiner Kehle emporstieg. »Rowlf, es ist meine Schuld, dass er packt.«
»Quatsch«, sagte Rowlf heftig. »Glaubst du wirklich, Howard würde wie ein beleidigter Oberschüler davonlaufen, nur weil ihr euch gestritten habt?« Er schüttelte heftig den Kopf, leerte sein Glas mit einem Zug und drehte es nervös in den Fingern. »Wir wären sowieso gefahren, früher oder später. Euer kleiner Streit hat nur den Ausschlag gegeben, jetzt schon aufzubrechen. Es hat mit diesem van der Groot zu tun.«
»Das hat Howard mir gesagt«, murmelte ich. »Aber mehr auch nicht. Was … ist passiert?«
»Passiert?« Rowlfs Gesicht verdüsterte sich. Seine Hände spannten sich mit einer kurzen, kraftvollen Bewegung um das Glas. Es knackte und in dem dickwandigen Whiskyglas entstand ein sichelförmiger Sprung. Rowlf zog eine Grimasse. »Was passiert ist?«, fuhr er fort. »Dieser van der Groot ist passiert. Ich hätte ihm den Schädel einschlagen sollen, als noch Zeit dazu war. Ich Idiot hätte wissen müssen, was passiert.« Er schnaubte. »Eigentlich habe ich seit Jahren darauf gewartet.«
»Ich … verstehe kein Wort«, sagte ich stockend. »Wer ist dieser van der Groot überhaupt?«
»Was«, sagte Rowlf. »Die Frage muss lauten, was ist van der Groot, Robert. Die Geschichte ist nicht so einfach zu erklären. Und du musst mir versprechen, Howard kein Wort davon zu verraten, dass ich hier war.«
»Sicher«, sagte ich. »Ich verrate nichts. Bisher habe ich ja auch nichts gehört, was ich verraten könnte.«
Rowlf grinste, stand auf und ging zum Teewagen, um sich ein neues Glas zu holen. »Dieser van der Groot«, begann er, »hat nicht aus eigenem Antrieb gehandelt. Er selbst ist ein ziemlich unwichtiger kleiner Handlanger, weißt du? Er kam hierher, um … einen Auftrag auszuführen.«
»Ich weiß«, antwortete ich. »Er wollte das NECRONOMICON.«
Rowlf drehte sich herum, nippte an seinem Drink und sah mich über den Rand des Glases hinweg scharf an. »Nein«, sagte er schließlich.
»Nein?« Ich blinzelte verwirrt. »Aber was -«
»Er war schon sehr viel länger in der Stadt. Die Sache mit dem NECRONOMICON war eigentlich gar nicht geplant. Van der Groot und dieser Gray-Abklatsch konnten nur nicht widerstehen, als sie erfuhren, was sich in deinem Besitz befindet. Wahrscheinlich«, sagte er mit einer abfälligen Grimasse, »haben sie gedacht, sie würden als Helden
Weitere Kostenlose Bücher