Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
nach Hause gehen – besser gesagt, fallen – sollte.
Jemand klopfte. Mort Seffinger schrak aus seiner Betrachtung hoch, rief ein deutliches »Herein« und wandte sich gleichzeitig vom Fenster ab. Die Tür wurde geöffnet und ein vielleicht fünfzigjähriger, grauhaariger Mann in der schmucklosen schwarzen Uniform des Gefängnispersonals betrat die kleine Wachstube. Cowley, seine Ablösung.
»Hi, Mort«, begrüßte er Seffinger. Er lächelte, rieb fröstelnd die Hände über dem kleinen Kohleofen und beugte sich neugierig über das Wachbuch, das aufgeschlagen vor Mort auf dem Tisch lag.
»Was Besonderes?«, fragte er.
Seffinger schüttelte den Kopf. »Nichts. Keine Neuzugänge – auch keine angekündigt –, keine Gefangenenrevolte.« Er grinste und deutete mit einer Kopfbewegung zum Fenster. Durch die beschlagene Scheibe war der Betrunkene schemenhaft zu erkennen. Er umkreiste noch immer die Laterne und hatte mittlerweile daran Halt gefunden. Außerdem hatte er angefangen, ein Lied zu grölen.
»Du hast Gesellschaft«, sagte er. »Ich amüsiere mich schon eine ganze Weile über den Burschen.« Er lachte. »Muss wirklich randvoll sein, der Kerl, wenn er sich ausgerechnet ein Gefängnis aussucht, um davor zu randalieren.«
Cowley beugte sich vor und blinzelte einen Moment lang durch das Fenster nach draußen. Ein tiefes Stirnrunzeln zog seine Brauen zusammen.
»Wie lange macht er das schon?«, fragte er.
Seffinger zuckte mit den Achseln. »Was weiß ich – ein paar Minuten.«
»Dann geh hinaus und hilf ihm«, sagte Cowley. »Du kennst die Vorschriften.«
Seffinger stöhnte übertrieben. »Ja, ja. Jede verdächtige Bewegung und so. Aber der Kerl da draußen ist nicht verdächtig, sondern besoffen!«
»Ein Grund mehr, sich um ihn zu kümmern«, antwortete Cowley streng. »Was glaubst du, was dir blüht, wenn er sich verletzt und jemand kriegt raus, dass du ihn die ganze Zeit beobachtet hast?« Er schüttelte den Kopf, richtete sich auf und machte eine auffordernde Bewegung. »Geh raus und setz ihn in die nächste Kutsche. Meinetwegen kannst du dann gleich nach Hause fahren. Ich übernehme deine Runde.«
»Na, mein Freund?«, sagte Seffinger. »Einen zuviel gekippt, wie?« Er rechnete nicht damit, Antwort zu bekommen; dazu war der Mann viel zu betrunken. Trotzdem hob der Fremde nach Sekunden den Kopf und blickte Seffinger an.
Der Gefängnisbeamte konnte sein Gesicht trotz der Gaslaterne nicht richtig erkennen, denn der Fremde trug einen breitkrempigen schwarzen Hut, dessen Schatten seine Züge beinahe unkenntlich machte. Trotzdem wirkte es fremdländisch und streng auf ihn.
Auch noch ein Ausländer, dachte Seffinger resignierend. Und seiner Kleidung nach zu schließen ein verdammt reicher Ausländer; vielleicht irgendein Botschafter oder Attaché. Heute war wirklich nicht sein Glückstag. Wahrscheinlich verstand der Bursche kein Wort englisch und am nächsten Morgen konnte er auch noch Ärger bekommen, wenn er ihn nicht ausgesucht höflich behandelt hatte.
Er seufzte, streckte die Hand nach dem Mann aus und zwang sich zu dem freundlichsten Lächeln, das er zustande brachte.
Der Fremde schlug seine Hand zur Seite, kippte nach hinten und klammerte sich im letzten Moment am Laternenpfahl fest. »Schschscheißtommy«, stammelte er.
Seffingers Lächeln gefror. Immerhin war er eine Amtsperson. Ihn konnte irgend so ein dahergelaufener reicher Ausländer ja ruhig beleidigen, aber nicht die Uniform, die er trug. »Wie bitte?«, fragte er steif. »Ich fürchte, ich habe Sie nicht richtig verstanden, Sir.«
»Dusch … duhasch … duhaschmischhonrischtisch … standen«, nuschelte der andere mit schwerer Zunge. »Aber isch schasch gern noch … nochmal. Scheischtommy! Jawoll! Scheischbeamter in einem Scheischland!«
»Sie vergreifen sich im Ton, Sir«, sagte Seffinger scharf. »Ich muss doch bitten!«
»Kannschtu«, sagte der andere, rülpste lautstark und fiel erneut auf die Knie. »Bitten kannscht du, worum du … willscht. Aber isch bleib dabei. Daschischt ein Scheißland! Und ein Scheisch … könig! Jawoll.«
Seffinger erstarrte. Ein Schlag ins Gesicht hatte ihn kaum härter treffen können.
»Was haben Sie gesagt, Sir?«, fragte er. »Sie sollten über das nachdenken, was Sie einem Beamten der Krone sagen.«
Der Fremde kicherte schrill. »Krone!«, kreischte er. »Eine Scheischkrone isch … ischdasch, jawoll. Ich pisse auf eure Krone!«
»Das ist … Majestätsbeleidigung!«, keuchte Seffinger.
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