Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
dorthin, zog sich zusammen, dehnte sich wieder aus, sank wie im Spiel ein Stück herab und gewann dann mit einem fast hektischen Hüpfer wieder an Höhe, während sie langsam näherkam.
Es waren Motten.
Milliarden von Motten.
Rowlf begann verzweifelt Grimassen zu schneiden und zu gestikulieren, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Hastig legte er den Zeigefinger über den Mund; als ich zu ihm hinübersah, wedelte er mit der Hand und deutete auf die Kutsche.
Die straßenwärts gewandte Tür des Wagens hatte sich geöffnet und Howard war ins Freie getreten. Er musste wie wir die Annäherung des Mottenschwarmes bemerkt haben, denn er legte den Kopf in den Nacken, blinzelte einen Moment zu der lebenden Wolke empor und wandte sich dann langsam um. Das Geräusch seiner Schritte ging in einem seidigen, allmählich an Lautstärke gewinnenden Schleifen und Sirren unter, das aus den Wolken zu uns herabdrang.
Dann waren sie heran. Die Wolke senkte sich in einer nur scheinbar schwerfälligen Bewegung auf die Straße herab, berührte die Dächer der Häuser rechts und links von uns und barst wie in einer lautlosen Explosion auseinander. Millionen und abermillionen pennygroßer grauer Punkte erfüllten die Straßenschlucht wie wirbelnder, schmutziger Schnee und die Luft war plötzlich von einem scharfen, auf schwer zu bestimmende Weise drohend wirkenden Summen und Wispern erfüllt.
Ich warf mich instinktiv nach vorne und verbarg das Gesicht zwischen den Händen, als die Killer-Insekten zu Tausenden über Rowlf und mich hereinbrachen …
Unendlich zarte, federleichte Finger schienen meinen Nacken und meine bloßen Handgelenke zu berühren, überall war raschelnde, huschende, flatternde Bewegung, grauer Staub, der von den kleinen Schwingen emporstieg und die Luft mit einem scharfen Geruch durchsetzte.
Aber der tödliche Schmerz, auf den ich instinktiv wartete, blieb aus. Die Motten berührten mich zu Hunderten, bedeckten meine Kleider wie ein lebender grauer Teppich – aber es geschah nichts.
Vorsichtig richtete ich mich auf, hob die Hände vor die Augen und starrte mit einer Mischung aus Schrecken und ungläubiger, noch vorsichtiger Erleichterung auf das Schwirren und Flattern auf meinen Händen, herab. Die Tiere flogen davon, als sie die Bewegung spürten, aber sofort schwebten andere herbei und ließen sich auf den freigewordenen Plätzen nieder. Es schien, als hätten sie ihre furchtbare Fähigkeit, die Zeit tausendmal schneller ablaufen zu lassen, verloren.
»Robert!«
Rowlfs hastig geflüsterter Ruf riss mich in die Wirklichkeit zurück. Ich wedelte mit den Händen, um die Motten davonzuscheuchen, stemmte mich auf die Knie hoch und sah zu ihm hinüber.
Seine Gestalt war kaum zu erkennen, so sehr war die Luft vom Wirbeln und Tanzen der Insekten erfüllt. Aber ich sah, wie er aufsprang und nach vorne deutete, in die Richtung, in die Howard verschwunden war.
Am Ende der Straße, ein wenig abgesetzt von den anderen Gebäuden, erhob sich ein zweistöckiges, halb verfallenes Haus. Sein Dachstuhl war eingesunken und das Grundstück davor war mit Trümmern und zerborstenen Balken übersät. Unkraut und verkrüppelte kleine Bäume hatten Halt in den Trümmern gefunden und die schier unendliche Zahl der Insekten, die es wie ein lebender Schneesturm umtosten, verwischten seine Konturen zusätzlich und verstärkten den unheimlichen, geisterhaften Eindruck, den dieser Haus-Leichnam schon am Tage hervorrufen musste.
»Schnell jetzt!«, keuchte Rowlf. »Ehe er verschwindet!« Er sprang hoch, raffte den Rucksack auf, den er neben sich abgelegt hatte, und setzte mit einem Sprung über den Mauerrest.
Wir liefen los, ohne noch darauf zu achten, in Deckung zu bleiben. Selbst wenn sich Howard umgedreht hätte, hätte er uns hinter den kochenden grauen Schleiern, die in der Straße wirbelten, kaum gesehen.
Aber er drehte sich nicht um, sondern ging zielstrebig auf das Haus zu und verschwand gebückt in einem halb eingebrochenen Eingang. Ich war mir nicht sicher – aber ich hatte den Eindruck, dass das Toben der Insekten zunahm, als Howard das Haus betrat. Das Sirren und Schleifen ihrer Flügel wurde immer lauter, und die Luft war plötzlich so voll von ihrem grauen, wirbelnden Staub, dass ich kaum noch atmen konnte.
Rowlf erreichte die Tür wenige Schritte vor mir und ließ sich keuchend gegen den zerborstenen Rahmen sinken.
»Er ist … die Treppe hinauf!«, keuchte er. »Schnell. Ich … fange hier unten an.«
Ich
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