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Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire

Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire

Titel: Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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konnte mit Mühe einen Sturz in die Tiefe vermeiden und blieb mit klopfendem Herzen stehen. Allmählich verging mir auch der letzte Rest von Galgenhumor. Diese Ruine war nicht nur eine Mördergrube, sondern das reinste Irrenhaus.
    Ich biss die Zähne zusammen und balancierte weiter auf die Tür zu. Hinter mir begann jemand mit einem harten Gegenstand gegen die Klappe zu hämmern. Holz knirschte und plötzlich hörte ich einen unflätigen Fluch. Irgendetwas sauste an mir vorbei, so dicht, dass ich den Luftzug spürte, und löste eine wahre Holz- und Ziegellawine aus, als es in das Dach einschlug.
    Ich spurtete los und spürte einen endlos langen Augenblick den Boden unter mir zittern, als die morschen Bretter vollends unter meinem Gewicht nachzugeben begannen. Ich stieß mich mit aller Macht ab, sprang, die Schulter voraus und mit zusammengebissenen Zähnen, gegen die geschlossene Tür – und spürte noch, wie hinter mir eine Art Falltür herunterschlug.
     
    Zuerst war nur Dunkelheit gewesen. Eine Schwärze, die viel tiefer als die bloße Abwesenheit von Licht war; als wäre da etwas anderes, etwas wie eine körperliche Dunkelheit, ein stoffliches Nichts, erfüllt von Bosheit.
    Er erinnerte sich, dass Zeit vergangen war, sehr viel Zeit. Zeit, in der er Schmerz verspürt hatte, Schmerz und eine Art der Furcht die ihm neu gewesen war. Er hatte …
    Ja – was eigentlich?
    Shannon war verwirrt. Er erinnerte sich nicht, wo er war, nicht, wie er hierhergekommen war und nicht, was dieses hier überhaupt war. Er war drüben gewesen, in dem schmalen Grenzbereich zwischen Realität und Wahnsinn, dem Reich der Schatten und der Furcht. Nicht aus freien Stücken, soviel wusste er. So wenig, wie er aus freien Stücken hier war. Er war geschickt worden. Er war hier, weil er irgendetwas tun sollte.
    Aber er wusste nicht, was.
    Plötzlich überkam ihn Übelkeit; ein rascher, schmerzender Schwindel, in dem noch ein schwacher Hauch des Terrors mitschwang, den sein Geist in der davorliegenden Zeit ertragen hatte. Selbst die bloße Erinnerung daran ließ ihn aufstöhnen.
    Shannon taumelte, stützte sich mit der linken Hand an einer Mauer ab und versuchte das Schwindelgefühl zurückzudrängen, aber die absolute Kontrolle, die er normalerweise über seinen Körper ausübte, war ihm genommen.
    Dann spürte er, wie etwas nach seinem Geist griff.
    Ohne dass er es wollte, wurden seine Augen auf eine bestimmte Stelle in der Nähe des Hafens gerichtet.
    Dächer, die vorher so normal und vollkommen unauffällig ausgesehen hatten, verschwanden nun trotz des herrlichen Sonnentages unter einer Dunstglocke, die sich zu einem dichten, dunklen Nebel verdickte. Für einen Moment sah Shannon nichts als wabernde Schatten.
    Häuser schälten sich aus dem konturlosen Grau und verschwanden wieder. Einmal sah Shannon in einen tiefen See, dann erblickte er ein weites Meer vor sich, aus dem sich ein gewaltiger Tempelkomplex erhob. Eine urweltliche Landschaft löste die Tempel ab. Auf sie folgten herrliche Paläste aus vergangenen Zeiten, Straßen voller Leben und verfallene Mauern, hinter denen der Tod lauerte.
    Es war das Kaleidoskop der menschlichen Welt, das auf Shannon einströmte und sich in seinen Gedanken festsetzte. Er spürte die Zufriedenheit, die sein Meister bei diesem Anblick empfand, und seine eigene Erleichterung darüber, dass er für diesen Auftrag auserwählt war. Es war wichtig, dass er diese Chance erhielt. Obwohl dort, wo seine Erinnerungen sein sollten, noch immer nichts als ein gewaltiger leerer Abgrund voller Schwärze und dumpfem Schmerz war, wusste er plötzlich, dass es eine Chance war.
    »Schau es dir genau an, Shannon«, hörte er die Stimme seines Meisters in seinen Gedanken, eine Stimme, die unhörbar und wie von einem körperlosen, eisigen Hauch begleitet war. »Es ist das Labyrinth von Amsterdam, eine Quelle ungeheuer starker magischer Kraft. Schon viele sind an ihm zugrunde gegangen. Du aber wirst es bezwingen. Du wirst das unfehlbare Werkzeug sein, mit dem ich den Dämon des Labyrinths meinem Willen unterwerfe!«
    Es war sowohl ein Befehl wie auch die Androhung der schlimmsten Strafe, die der Meister aussprechen konnte: den Entzug seiner Gnade. Er sagte es nicht, aber manchmal war gerade das, was der Meister nicht sagte, das Schlimmere.
    »Ich werde nicht scheitern!«, antwortete Shannon leise. Ein ganz leichtes Gefühl von Furcht und Drohung mischte sich in seine Gedanken. Versagen … Er hatte schon einmal versagt.

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