Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
Staunen und banger Besorgnis um.
Ich war nicht auf der Straße gelandet, sondern in einem mit allerlei Gerümpel vollgestopften, niedrigen Raum. Bestialischer Gestank raubte mir den Atem, schrille Schreie peinigten meine Ohren. Ich sprang auf, duckte mich kampfbereit und hob die Waffe. Mein Degen beschrieb einen Halbkreis, doch er traf nur leere Luft.
Wo war die Straße?, dachte ich verstört. Ich war durch das Fenster nach draußen gehechtet – aber um mich herum waren Wände …
Langsam begannen sich meine Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen und aus amorphen Schatten wurden Umrisse.
Ich war nicht allein! Eine Anzahl lemurenähnlicher Geschöpfe drückte sich in den hintersten Winkel der Kate. Zweimal musste ich hinsehen, bis ich in ihnen Kinder erkannte. Ihre weit aufgerissenen Augen wirkten wie leuchtende, gläserne Murmeln, in denen die Furcht wie verzehrendes Feuer loderte.
»Keine Angst! Ich tue euch nichts!«, sagte ich, trat einen Schritt auf sie zu und senkte mit verlegenem Lächeln den Degen. Doch sie drängten sich noch ängstlicher aneinander und verschmolzen stumm mit den Schatten.
Dann hörte ich hinter mir ein Geräusch, schnellte herum und starrte auf ein kleines Loch in der Wand, das nur wenig mehr als die Breite meiner Schultern besaß und vor einer Sekunde noch nicht dagewesen war. Einer meiner Gegner riss gerade die Reste einer Papierbespannung beiseite und zwängte seinen Oberkörper durch den brüchigen Rahmen.
»Gleich habe ich dich, Craven!«, jubelte er und holte mit der Keule aus.
Ein Zurückweichen war unmöglich. So stieß ich zu. Ich wollte ihm den Degen in die Schulter bohren, um ihn zu entwaffnen. In dem Augenblick jedoch verlor er den Halt, schlitterte auf mich zu und rammte sich selbst den Degen in die Kehle.
Der Stich hätte tödlich sein müssen. Doch der Mann schrie nur auf, riss sich die Klinge aus der Wunde und glitt aus dem berstenden Fensterrahmen. Er schlug auf dem Boden auf und erhob sich sogleich wieder mit der Leichtigkeit einer Katze.
Einen Augenblick später verwandelte sich sein Gesicht in eine dämonische Fratze. Er wälzte sich wie ein gereizter Bär auf mich zu und streckte seine Pranken nach meinem Hals aus. Mit einem verzweifelten Satz sprang ich zurück und schlug mit dem Degen nach seinem Arm, aber der unheimliche Angreifer schien diese neuerliche Verletzung nicht einmal zu spüren.
Verzweifelt sah ich mich nach einem Fluchtweg um. Die Kinder hatten sich in eine Ecke des Raumes gedrängt und verfolgten den ungleichen Kampf aus großen, schreckgeweiteten Augen; hinter und neben ihnen stapelten sich Gerümpel und Abfall – und dann entdeckte ich eine Tür. Verzweifelt sprang ich hin, sah einen verrosteten Schlüssel stecken, riss ihn vor Erregung fast aus dem Schloss und versuchte verzweifelt, die Tür aufzubekommen.
Hinter mir begann der Boden unter den stampfenden Schritten meines Verfolgers zu zittern. Ein Schatten wuchs über meinem eigenen auf der Tür auf, und plötzlich spürte ich den eisigen Luftzug.
Ich versuchte nicht einmal dem Hieb auszuweichen, sondern warf mich mit aller Macht nach hinten und stieß mit dem Ellbogen zu.
Die Keule traf wenige Zentimeter neben meinem Kopf gegen die Tür und ließ das Holz splittern; im gleichen Augenblick krachte mein Ellbogen gegen das Brustbein des Angreifers.
Sein wütendes Brüllen verwandelte sich in eine Folge unnatürlicher, keuchender Laute. Er wankte, ließ seine Keule fallen und krampfte die Hände über dem Leib zusammen.
Als ich mich zu ihm herumdrehte, sank er ganz langsam in die Knie und starrte mich aus hervorquellenden Augen an.
Ich stieß seine Keule mit dem Fuß vollends zur Seite, versetzte ihm einen Stoß, der ihn hilflos nach hinten und zur Seite fallen ließ – und stöhnte auf.
Die Kinder waren näher gekommen, während ich mit dem Schläger gekämpft hatte. Ihre Gesichter wirkten leer und starr wie zuvor, so leblos wie die von Puppen, aber der Ausdruck in ihren Augen hatte sich verändert.
Vorhin hatte ich Furcht in ihren Blicken gelesen.
Jetzt starrten sie mich voller Zorn und Wut an.
Und plötzlich blitzten Waffen in ihren Händen – schartige Messer, gezackte Glas- und Spiegelscherben, rostige Nägel; einer schwang ein Brett, durch das Nägel geschlagen waren, und eine kleine Gestalt richtete einen altertümlichen Vorderlader auf mich und fummelte ungeschickt an seinem Spannschloss.
Instinktiv hob ich den Degen. Die zuvorderst stehenden Kinder prallten zurück,
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