Hexer-Edition 08: Engel des Bösen
Luft einsog und ihm zunickte. Erst als ihn der weißhaarige Riese an der Schulter berührte und mit der anderen Hand in die Tiefe deutete, bemerkte er die Bewegung überhaupt und senkte auch sein Tuch.
Gierig atmete er ein halbes Dutzend Mal ein und aus. Die Luft roch noch immer scheußlich und es war jetzt noch ein neuer, widerwärtiger Geruch hinzugekommen, aber nach dem flüssigen Feuer, das er minutenlang geatmet hatte, erschien sie ihm wie ein Labsal.
»Kommen Sie, Lovecraft«, sagte Cohen ungeduldig. »Die Wirkung hält nicht lange vor. Ich möchte sehr weit weg sein, wenn sie wiederkommen.« Er stand auf, balancierte mit traumwandlerischer Sicherheit auf dem schmalen Steg entlang und winkte Howard ungeduldig, ihm zu folgen.
Der Sims führte gut dreißig Schritte weit an der Wand entlang und endete vor einer schmalen, in kühnem Winkel in die Tiefe führenden Rampe. Howard blieb unwillkürlich stehen, als er hinter Cohen auf die erste Stufe trat und den Boden der Höhle erkennen konnte.
Er war voller Ratten.
Obgleich er den Anblick erwartet hatte, sträubte sich sekundenlang alles in ihm dagegen, weiterzugehen. Es mussten Tausende von Ratten sein, die dicht gedrängt neben- und übereinander auf den ausgewaschenen Steinen lagen, und längst nicht alle von ihnen waren tot oder gänzlich betäubt. Überall in der gewaltigen haarigen Masse zuckte und bebte es, kleine, tückische Augen starrten sie an, halb gelähmte Krallen scharrten hilflos über Stein …
Es kostete Howard enorme Anstrengung, seinen Widerwillen zu überwinden und hinter Cohen die Treppe hinabzusteigen. Brechreiz stieg aus seinem Magen empor, als er die letzte Stufe erreichte und unter seinen Füßen plötzlich borstiges Fell und kleine zuckende Körper waren.
Cohen kniete dicht neben der Treppe nieder, griff abermals unter seine Jacke – deren Fassungsvermögen schier unerschöpflich schien – und zog zwei kleine lederne Etuis hervor und reichte Howard eines davon. »Immer nur einen winzigen Tropfen«, sagte er. »Versuchen Sie möglichst viele zu erwischen.«
Howard klappte das Etui auf. Auf dem schwarzen Samt, mit dem es ausgeschlagen war, lagen drei fingerdicke, glitzernde Injektionsnadeln. Irritiert starrte er Cohen an. »Was soll das?«, fragte er. »Ich denke, wir wollen ein paar Ratten einfangen, um -«
»Um was?«, schnappte Cohen. »Um sie sturen Beamten wie meinem Bruder zu zeigen und ihnen zu sagen, dass die Tiere gefährlich sind?« Er lachte rau. »Sie wissen so gut wie ich, was dabei herauskommen würde, Lovecraft. Nichts.«
Cohen schüttelte den Kopf, um seine Worte zu bekräftigen, nahm eine Spritze aus seinem Etui und stieß sie in den Nacken einer betäubten Ratte. »Seien Sie vorsichtig mit dem Zeug«, sagte er. »Es wäre nicht gut, wenn Sie damit in Berührung kämen.«
Howard nahm eine der Spritzen mit spitzen Fingern hervor. Hinter dem geschliffenen Glas glitzerte eine farblose Flüssigkeit. »Was ist das?«, fragte er.
»Tollwut«, antwortete Cohen trocken. Howard ließ vor Schrecken um ein Haar die Spritze fallen. »Tollwut?«, keuchte er. »Sind … sind Sie verrückt geworden, Cohen?«
Cohen hatte mittlerweile die dritte Ratte geimpft und ergriff bereits eine weitere beim Schwanz, um ihr einen Tropfen der tödlichen Viren zu injizieren. »Keine Sorge, Lovecraft«, sagte er, ohne ihn anzusehen oder gar in seinem Tun innezuhalten. »Ich weiß ganz genau, was ich mache.«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Howard aufgebracht. »Sie müssen verrückt sein! Sie werden die ganze Stadt -«
Cohen sah mit einem Ruck auf. »Nichts werde ich«, unterbrach er ihn wütend. »Ich bin nicht ganz so verrückt, wie mein Bruder glaubt, wissen Sie? Ich habe diesen Plan sorgfältig ausgearbeitet und ich kann Ihnen versichern, dass ich jede Kleinigkeit bedacht habe. Dieses Serum, das Sie da in Händen halten, Lovecraft, wurde von mir entwickelt. Es ist Tollwut, das stimmt, aber eine ganz spezielle Art der Tollwut, nur für diesen einen Zweck hergestellt. Sie ist nicht ansteckend, wenn es das ist, wovor Sie Angst haben. Die Ratten, die Sie impfen, werden sterben und jeder drittklassige Tierarzt wird feststellen können, dass sie an der Tollwut verendet sind. Aber sie werden nicht feststellen, dass es sich um eine relativ harmlose Abart dieser Krankheit handelt. Jedenfalls nicht sofort. Und wenn sie es merken, wird es zu spät sein.«
»Zu spät für wen?«, fragte Howard leise. »Für London, Cohen?«
»Für die
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