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Hexer-Edition 08: Engel des Bösen

Hexer-Edition 08: Engel des Bösen

Titel: Hexer-Edition 08: Engel des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mir, zerrissen meine Kleider und meine Haut, der Spalt, sein nachtschwarzer Grund und der gezackte, rasend schnell dünner werdende Streifen grau-roten Himmels wirbelten schneller und schneller um mich herum.
    Ich hörte Lady Audley schreien, dann mich, dann einen Laut, den ich zu kennen glaubte, ohne ihn sofort einordnen zu können. Ein flüchtiger Splitter von Weiß mischte sich in das Kaleidoskop des Todes, in dem ich in die Tiefe stürzte.
    Dann sah ich den Boden. Die Erdspalte war vielleicht zwanzig, dreißig Yard tief, aber ihr Grund war kein Grund, sondern die Decke einer titanischen Höhle, deren Boden mit Felsen und spitzen, wie steinerne Dolche geformten Felsnadeln gespickt abermals fünfzig oder mehr Yards unter uns lag.
    Wieder gewahrte ich einen Streifen blendend heller weißer Farbe und erneut hörte ich diesen seltsam vertrauten und doch unverständlichen Laut.
    Der Boden raste auf uns zu. Lady Audley, die etwas schneller fiel als ich, begann unter mir groteske Schwimmbewegungen mit Armen und Beinen zu machen, überschlug sich und -
    Etwas ergriff meine Schultern, drehte mich im Fallen herum und riss mich mit furchtbarer Wucht zurück.
    Der Schmerz war unbeschreiblich. Mein Körper schien in zwei Teile gerissen zu werden. Flüssiges Feuer raste durch meine Adern. Jeder einzelne Knochen in meinem Leib schien zu brechen. Im ersten Moment war ich überzeugt, aufgeschlagen zu sein und den Vorgang des Sterbens zu erleben.
    Dann teilte das Rauschen gigantischer schlagender Schwingen die Luft und ich spürte, dass meine Beine noch immer frei über dem Abgrund pendelten. Eisige Luft streichelte meine erhitzten Wangen und ein Paar schmaler, aber unglaublich kraftvoller Hände hatte sich unter meine Achseln geschoben und hielt mich.
    Vorsichtig öffnete ich die Augen.
    Ich schwebte noch immer frei in der Luft, raste aber nicht mehr in irrwitzigem Tempo dem Boden entgegen, sondern sank nach unten. Plötzlich sah ich Lady Audley.
    Sie stürzte, sich immer und immer wieder überschlagend, neben mir in die Tiefe, den Mund zu einem stummen, vom Entsetzen erstickten Schrei geöffnet und die Hände hilflos nach beiden Seiten ausgestreckt. Dann schlug sie auf.
    Das Geräusch war nicht sehr laut. Aber es war der fürchterlichste Laut, den ich jemals in meinem Leben gehört hatte. Ich hatte das Gefühl, ihn wie eine Welle plötzlichen, heißen Schmerzes durch meinen Körper rasen zu fühlen. Stöhnend schloss ich die Augen.
    Ich spürte kaum, wie der rasende Flug zu Ende ging und ich beinahe sanft aufsetzte. Ich fühlte nicht einmal, wie ich auf Hände und Knie fiel und mir das Gesicht an einer der Felszacken aufriss. Alles, woran ich denken konnte, war dieser fürchterliche Laut und das Bild, das ich gesehen hatte. Und dass Lady Audley tot – tot, tot, tot – war. Plötzlich, in diesem Moment erst, spürte ich, wie sehr ich diese versponnene alte Frau gemocht hatte.
    Jemand berührte mich an der Schulter und als ich aufsah, erkannte ich Cindys Gesicht durch den Schleier von Tränen, der meinen Blick vernebelte.
    Cindys Gesicht?
    Nein – das war nicht mehr das schmale Antlitz von Lady Audleys Nichte. Was ich sah, waren Züge, die so sanft und weiß wie aus kostbarem Porzellan modelliert waren, Augen, die die Unendlichkeit geschaut hatten und Haar, das wie gesponnenes Sternenlicht weit über schlanke, perfekt geformte Schultern herabfiel. Und ein Paar unglaublich großer, strahlend weißer Schwanenflügel, die die Dimensionen der Höhle selbst jetzt noch zu sprengen schienen, als sie sich wieder zusammenfalteten.
    »Shadow«, flüsterte ich.
    Das Wesen, das bisher in Cindys Gestalt aufgetreten war, nickte sanft. Ein mildes, sehr helles Licht schien seinen Körper zu umgeben, wie eine Aura der Helligkeit, ohne dabei auch nur im Geringsten zu blenden. Selbst jetzt war es mir unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, ob ich einen Mann oder eine Frau vor mir hatte. Vielleicht keines von beiden.
    »Bist du verletzt?«, fragte sie.
    Ich war nicht ganz sicher; trotzdem schüttelte ich den Kopf und versuchte auf die Beine zu kommen – wenn auch mit dem einzigen Ergebnis, dass ich sofort wieder das Gleichgewicht verlor und mich selbst wie einen Schmetterling an einer Felsnadel aufgespießt hätte, hätte Shadow nicht blitzschnell zugegriffen und mich gehalten. Behutsam stellte sie mich auf die Füße und blieb mit griffbereit ausgestreckten Händen stehen, bis sie sicher war, dass ich aus eigener Kraft stehen konnte. Vor mir,

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