Hexer-Edition 08: Engel des Bösen
in einer Mischung aus Spott und Ernst mit dem Zeigefinger. »Gut, Sie haben einen Fehler gemacht, einen furchtbaren Fehler vielleicht«, sagte sie, »nichtsdestotrotz aber einen verzeihlichen. Von Ihrem Standpunkt aus haben Sie richtig gehandelt, Robert. Sie konnten nicht wissen, worum es hier wirklich ging.«
»Ich hätte es wissen müssen«, widersprach ich, aber wieder schüttelte Lady Audley nur den Kopf. »Shadow hat mir alles über Sie erzählt«, fuhr sie fort. »Über Sie und Ihren Vater und Ihren Freund Howard.« Sie lächelte. »Sie müssen sich köstlich über mich amüsiert haben, als ich versuchte, Sie davon zu überzeugen, dass es so etwas wie übersinnliche Phänomene wirklich gibt. Ich hoffe, Sie sehen einer alten Frau ihre Unwissenheit nach«, sagte sie, lächelte erneut und wurde übergangslos wieder ernst. »Sie konnten nicht wissen, warum sie wirklich gekommen ist. Niemand wusste es; nicht einmal ich, bis zum letzten Moment. Sie hätten niemals hierher kommen dürfen. Aber das ist nicht Ihr Fehler.«
»Das ändert nichts an dem, was geschehen ist«, widersprach ich.
»Machen Sie das Beste daraus«, entgegnete Lady Audley. »Dieses Ungeheuer ist nun einmal erwacht und keine Macht der Welt kann es ungeschehen machen. Umso mehr braucht Shadow jetzt Ihre Hilfe.«
Ich wollte antworten, aber in diesem Moment wurde die Tür geöffnet und das Mädchen mit Cindys Gesicht betrat das Zimmer. Sie sah noch immer so aus wie das Mädchen, das ich vor zwei Tagen während der verunglückten Seance zum ersten Mal gesehen hatte. Trotzdem bildete ich mir für Sekundenbruchteile ein, den Umriss einer weißen, geflügelten Gestalt durch ihre Silhouette hindurchschimmern zu sehen.
»Irgendetwas stimmt nicht«, begann sie übergangslos.
»Womit?«, fragte ich. »Shub-Niggurath?«
Sie sah mich an, überlegte einen Moment und schüttelte dann entschieden den Kopf. »Nein«, antwortete sie. »Er ist fort. Ich … würde es wissen, wenn er noch in der Nähe wäre.«
»Was dann?«
»Irgendetwas mit diesem Ort«, erwiderte Shadow hilflos. »Ich weiß nicht, was, aber ich fühle, dass irgendeine Veränderung vor sich geht. Und es ist keine Veränderung zum Guten. Ich war draußen, bei dem Tor, das Sie mir beschrieben haben, Robert. Es ist geschlossen.«
»Dann öffnen Sie es doch«, sagte ich unwillig.
Shadow seufzte. »Das kann ich nicht«, gestand sie. Sie lächelte unglücklich, kam einen Schritt näher und sah sich suchend um. Schließlich ließ sie sich auf einen der drei niedrigen Hocker sinken, die zusammen mit einem Tisch und einem altersschwachen Schrankbett die gesamte Einrichtung des Raumes bildeten, stützte die Ellbogen auf die Knie und verbarg für einen Moment das Gesicht in den Händen. Die Menschlichkeit dieser Geste bedrückte mich. Ich musste mir mit Gewalt ins Gedächtnis zurückrufen, dass sie alles andere als ein Mensch war.
»Was soll das heißen?«, fragte ich. »Sie haben es einmal geöffnet, um mich zu holen -«
»Das habe ich nicht«, unterbrach sie mich. »Warum hätte ich so etwas Dummes tun sollen, Robert? Haben Sie vergessen, dass ich es war, der Sie gewarnt hat, hierher zu kommen? Ich bin nicht so allmächtig, wie Sie zu glauben scheinen, Robert«, fuhr sie fort. »Im Gegenteil. Wäre ich es, hätte ich nicht die Hilfe der anderen gebraucht, um Shub-Niggurath zu vernichten.«
Die Art, in, der sie das Wort andere aussprach, ließ mich aufhorchen. »Die anderen?«, wiederholte ich. »Sie meinen die Ratten?«
Einen Moment lang zögerte sie, fast, als müsse sie über die Bedeutung des Wortes nachdenken. Dann nickte sie. »Die grauen Herren, ja«, sagte sie. »Ich glaube, Sie nennen sie so – Ratten.«
»Aber die haben mich geholt!«, protestierte ich.
»Das ist es ja gerade, was mir Sorge bereitet«, murmelte Shadow. »Das hätten sie nicht gedurft. Ich habe ihnen befohlen, Sie unter allen Umständen -«
… grau, das wie klumpig geronnene Finsternis durch Boden und Türritzen quoll, die Fenster verdunkelte und in zähen Fäden durch die Decke tropfte …
» – zurückhalten«, schloss Shadow. »Sie hätten nie …« Sie stockte, sah mich an und blinzelte ein paarmal. »Was ist mit Ihnen, Robert?«, fragte sie.
Diesmal war ich es, der nicht sofort antwortete. Die Vision war plötzlich gekommen, so warnungslos und mit der Wucht eines Hammerschlages. Selbst jetzt schienen noch immer graue Spinnfäden vor meinen Augen zu schweben. Selbst ihre Stimme klang grau.
Shadow stand auf,
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