Hexer-Edition 11: Der achtarmige Tod
für deine Bestien?« Ich versuchte meine Stimme spöttisch klingen zu lassen, aber nicht einmal das gelang mir. Und selbst wenn, hätten die Worte ihre Wirkung auf Dagon verfehlt. Wenn jemals etwas Menschliches in ihm gewesen war, so war es nun verschwunden. Ausgelöscht. Der Dagon, den ich kennen gelernt hatte, das Ungeheuer, in dem trotz allem noch ein winziger Funke seiner menschlichen Vorfahren steckte, war tot. Das Wesen, dem ich jetzt gegenüberstand, war eine Bestie.
Dagon antwortete nicht, sondern streckte nur fordernd die Hand aus und deutete auf mein Gewehr. Ich reichte ihm die Waffe. Dagon packte sie, bog ihren Lauf wie ein Stück weiches Bleirohr zusammen und warf sie in die glühende Lava. Die Munition explodierte knallend und für einen Moment sah ich etwas Riesiges, gleißend Helles unter dem verflüssigten Gestein dahingleiten.
»Komm«, befahl Dagon. Er winkte noch einmal auffordernd mit der Hand, drehte sich herum und verließ die Höhle, ohne sich auch nur mit einem Blick davon zu überzeugen, ob ich ihm wirklich folgte.
Aber ich tat es. Wohin hätte ich auch gehen sollen? Ein Fluchtversuch erschien mir unter den gegebenen Umständen das mit Abstand Sinnloseste, was ich überhaupt unternehmen könnte. Nicht, dass es irgendetwas gab, was überhaupt noch Sinn gemacht hätte, jetzt und hier.
Dagon führte mich durch ein wahres Labyrinth von Stollen und Gängen weiter in die Tiefe. Nicht alle davon waren auf natürlichem Wege entstanden; manche wirkten so glatt wie poliertes Glas, dass ich Mühe hatte, überhaupt auf den Beinen zu bleiben; gewaltige Röhren wie in den Fels hineingebrannt. Das mussten die Gänge sein, die Dagons schreckliche Feuerwürmer hinterlassen hatten.
Nach einer Ewigkeit wurde es vor uns wieder hell, aber diesmal war es nicht das düstere Blutlicht der glühenden Lava, sondern ein grünlicher, fast milder Schein, der nicht aus einer bestimmten Quelle, sondern von überall her zugleich zu kommen schien, als leuchte die Luft selbst. Eine kurze, aus roh behauenen Steinstufen bestehende Treppe führte in die Tiefe – und endete im Nichts.
Hätte Dagon mich nicht an der Schulter gepackt und aufgehalten, dann hätte ich es vielleicht nicht einmal bemerkt, so abrupt brach die Konstruktion aus verwitterter Lava ab. Unter der letzten Stufe gähnte ein gut fünfzig Fuß tiefer Abgrund, unter dem die Höllenglut eines Lavasees loderte.
Dagons Fischlippen verzogen sich zu einem hässlichen Lachen. »Siehst du, jetzt habe ich dir schon wieder das Leben gerettet«, sagte er.
Irgendetwas an der Art, in der er die Worte aussprach, ließ mich aufsehen. Seine Stimme hatte sich verändert. Sie hatte nie wirklich menschlich geklungen, aber jetzt war ein schreckliches, hechelndes Pfeifen darin, begleitet von einer Art unheimlichem Echo. Als redeten zwei Menschen gleichzeitig.
Und plötzlich fielen mir noch mehr Veränderungen auf: Dagons Gesicht war dunkler geworden. Die filigranen Silberschuppen hatten ihren Glanz verloren und waren matt geworden und darunter zeichneten sich haardünne, dunkle Linien ab.
Als wäre diese Beobachtung ein Stein gewesen, der andere mitriss, fielen mir plötzlich mehr und mehr Unterschiede zu dem Dagon auf, dessen Bild ich in meiner Erinnerung hatte.
Wie beim allerersten Mal, als Dagon und ich zusammengetroffen waren, trug er auch jetzt einen schwarzen, vom Hals bis über die Knöchel reichenden Umhang, der keinen Quadratzoll seines Körpers unbedeckt ließ. Aber anders als damals war die Kleidung jetzt nicht mehr Schmuckstück und bizarrer Symbiont in einem, das begriff ich plötzlich. Es diente keinem anderen Zweck, als die Gestalt darunter vor neugierigen Blicken zu verbergen. Dagons Körper schien mir auf sonderbare Weise verschoben; beinahe missgestaltet.
Mein Blick war Dagon keineswegs entgangen, denn plötzlich trat ein Ausdruck von Zorn in seine Augen; er packte mich, riss mich grob an der Schulter herum und trat mit einem einzigen Schritt in das Nichts jenseits der Treppe hinaus.
Aber wir stürzten nicht. Wie von einer unsichtbaren Hand gehalten, schwebten wir ein Stück weit in die Höhle hinein, glitten in sanftem Bogen über den Lavasee hinweg und setzten in sicherer Entfernung auf; sanft wie fallende Blätter.
Trotzdem strauchelte ich und wäre um ein Haar gestürzt, als Dagon meine Schulter losließ, denn der Schrecken hatte mich erstarren lassen und ich stand noch immer in der gleichen, unnatürlich verkrampften Haltung da, in der Dagon
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