Hexer-Edition 12: Die Hand des Dämons
niemand.
Endlich tauchten die Umrisse der großen Fabrikgebäude vor ihm auf: langgestreckte, flache Gebäude mit abgebröckeltem Verputz und kleinen, blinden Fenstern, wie schwarze Löcher in der Nacht, schlafenden Ungeheuern gleich, Moloche, die nur darauf warteten, die Menschen, die bei Tagesanbruch gewöhnlich durch die Portale in ihr Inneres strömten, jetzt bei Nacht zu verschlingen, denn die Nacht war die Zeit der Schrecken und düsteren Dinge. Was nicht Wirklichkeit war, wurde jetzt Realität, Wahrheit zum Traum, Traum zum Albtraum, Furcht zur Wirklichkeit.
Die Vorstellung bereitete Shudde-Tuur eine grimmige Befriedigung. Nicht mehr lange und die Fabriken würden wirklich lebendig werden, die Albträume mit knorrigen Fingern an den Türen der Wirklichkeit kratzen und Einlass verlangen.
Unter dem Portal der vordersten Halle drang es in das erste Gebäude ein. Unzählige Spinnräder füllten den gewaltigen Raum. Der körperlose Schatten schlängelte sich zwischen den Reihen hindurch und strich mit schlangenartigen Armen von Zeit zu Zeit über den aufgehäuften Flachs und die Spindeln mit dem bereits versponnenen Leinen.
Als es seine amorphen Fühler wieder zurückzog, ließ es nur die hölzernen Spindeln hinter sich. Der Flachs vermochte seinen Hunger nicht zu stillen, aber er erfüllte ihn mit einem anderen Gefühl von Stärke: der Zuversicht, dass sein Plan gelingen würde.
Das leise Geräusch einer sich öffnenden Tür schreckte Shudde-Tuur auf. Zuckend huschte der Schein einer Laterne über die Wände und schuf schattenhaftes Leben, wo zuvor nur undurchdringliche Dunkelheit gewesen war.
Die Gier in ihm wurde übermächtig, als es das nahende Leben spürte. Um sich nicht zu früh zu verraten, kauerte es sich im Schatten eines Spinnrades zusammen und wartete, bis sich der Mann auf gleicher Höhe befand. Dann stürzte es mit einer blitzartigen Bewegung vor, noch ehe der Wächter die Gefahr überhaupt erkannte. Mit einem schleimigen Fühler erstickte Shudde-Tuur seinen Schrei; dann spürte es nur noch warmes, süßes Leben, das in ihn eindrang und ihn mit einer neuen, gewaltigen Kraft durchpulste …
»Wo Bill nur so lange bleibt?« Hank Jackson warf einen nervösen Blick zu der großen Standuhr in der Ecke des Raumes. Das Ding hätte auf den Müll gehört und genau dort hatte er die Uhr auch hergeholt. Sie ging ständig falsch, bot aber wenigstens einen vagen Überblick über die quälend langsam verstreichende Zeit. »Möchte überhaupt gerne wissen, wieso der Verrückte dauernd seine Wachrunden dreht.«
»Er ist jung und will nach oben. Immerhin hat er eine Frau und drei Kinder zu versorgen«, verteidigte Bowland seinen Kollegen. Er sprach mit ruhiger, abgeklärter Stimme, die Jacksons Nervosität aber nur teilweise zu beschwichtigen vermochte. Er war schon den ganzen Abend über gereizt und er gab viel auf seine Stimmungen. Sein Gefühl hatte ihn selten getrogen. Und jetzt signalisierte es ihm drohendes Unheil.
Gegenwärtig aber war davon wenig zu spüren. Sie saßen in einem winzigen Verschlag, der früher eine Art Abstellkammer gewesen war, bis sie ihn sich als Wachstube ausgebaut hatten. Ihre Aufgabe lautete zwar, ununterbrochen Patrouillengänge durch die Fabrikgebäude durchzuführen, aber wer kontrollierte sie um diese Zeit schon? Nicht einmal der Schinder Carringham ließ sich nachts blicken. Der saß in seiner prächtigen Villa, während sie sich für einen Hungerlohn die Nacht um die Ohren schlagen mussten, um am Monatsanfang wenigstens etwas Geld nach Hause tragen zu können. Nicht genug, um zu leben, aber gerade genug, um nicht jämmerlich zu verrecken.
Jedenfalls rissen sie sich kein Bein aus. Es würde ohnehin niemand auf die Idee kommen, Flachs oder das verarbeitete Leinen zu stehlen. Dafür saß die Angst vor der Gesellschaft und der Polizei viel zu stark in den Einwohnern von Arcenborough. Und von weither würde deswegen auch niemand kommen. Also saßen sie in der improvisierten Wachstube und vertrieben sich die Zeit mit Kartenspielen.
Jackson galt allgemein als Glückspilz. Doch an diesem Abend schienen sich die Karten gegen ihn verschworen zu haben. Er konnte sich nicht konzentrieren, jeder Bluff geriet ihm zu offensichtlich und wenn er eine Karte kaufte, war es garantiert die Falschestmögliche. Er hätte am liebsten aufgehört, wenn es nicht der einzige Zeitvertreib gewesen wäre. Aber er vermochte sich auch nicht auf das Spiel zu konzentrieren. Etwas Unheimliches ging vor
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