Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York
wandte sich schließlich einer deckenhohen Apparatur an einer der Wände zu.
»Ein Transformator«, quetschte er hervor und legte sein Ohr an den matt glänzenden Stahl. »Ich frage mich, wie sie es geschafft haben, eine derart hohe Spannung zu erzeugen. Na ja, die hat dieser Roman auch dringend nötig …« Er ignorierte meinen verdutzten Gesichtsausdruck und ließ sich neben einer der Leichen auf die Knie herabsinken. Es war der junge Mann mit dem zerbrochenen Glaskranz über dem Herzen.
»Der hier geht jedenfalls nicht auf das Konto des Golems«, sagte er an mich gewandt. »Nach allem, was du uns über den Kerl erzählt hast, ist er ein wandelnder Säurekessel. So etwas hinterlässt Spuren.«
In diesem Punkt konnte ich ihm nur beipflichten. Ich hatte meine Jacke eingehend untersucht, nachdem ich zu Hause angelangt war. Die Seite, an der mich der Golem getroffen hatte, bestand nur noch aus einigen Gewebefäden. Ich hatte trotz allem ein unglaubliches Glück gehabt, dass der Stoff die Säure ausgehalten hatte. Meine Haut war nur leicht gerötet und juckte unangenehm.
Ich trat näher an Howard heran und beugte mich über seine Schulter – als mich plötzlich irgendetwas von hinten anstieß! Ich verlor das Gleichgewicht, prallte gegen Howard und riss ihn mit mir zu Boden. Noch im Fallen ruckte mein Kopf herum. Hinter mir war nichts!
»Bist du verrückt geworden?«, fuhr Howard auf. »So pass doch auf, wohin du trittst!«
»Aber ich –«
»Du benimmst dich überhaupt sehr ungeschickt heute morgen«, fiel er mir ins Wort. »Mir scheint, dies alles hier« – er vollführte eine Bewegung mit dem Arm, die den ganzen Raum einschloss – »hat dich doch mehr mitgenommen, als du es dir eingestehen willst.«
Ich nickte automatisch und sah mich weiter um. Es war mir selbst ein Rätsel. Dies hier war nicht das erste Missgeschick, das mir widerfahren war, seit ich dieses Kellerloch im Morgengrauen verlassen hatte. Erst einmal hatte ich vergeblich versucht eine Droschke anzuhalten; die Kutscher hatten mich schlichtweg übersehen! So hatte ich den ganzen Weg zu Fuß – noch dazu mit einem verstauchten Bein – zurücklegen müssen. Und dabei hatte ich mehr Pech gehabt als im ganzen vergangenen Jahr zusammen.
Ich mochte gar nicht an alle Zwischenfälle zurückdenken. Dass ich gegen mindestens drei Laternenpfähle gelaufen war und mich mit dem Fuß in einem Kanaldeckel verfangen hatte, waren noch die harmlosesten Übel.
Und dabei hatte ich stets das Gefühl gehabt, als wäre irgendetwas dicht auf meinen Fersen. Ich hatte es auf die verständliche Verwirrung nach dem Erlebnis der letzten Nacht zurückgeführt und mit einem Achselzucken beiseite geschoben, aber allmählich geschah des Schlechten zuviel. Und jetzt dieser Zwischenfall …
»Aber ich bin mir sicher, dass … mich jemand von hinten angestoßen hat«, wollte ich sagen.
Wollte!
Stattdessen kamen ganz andere Worte über meine Lippen: »… dass wir hier nichts mehr finden werden. Wir sollten gehen.«
Was geschah mit mir?!
Howard stemmte sich ächzend in die Höhe und klopfte sich den Staub von der Hose. »Ich glaube, du hast wohl Recht«, sagte er. »Ich werde mir das Buch vornehmen; vielleicht kann ich einen Hinweis finden, wie der Golem aufzuspüren und zu vernichten ist.«
Ich lächelte zuversichtlich.
Ich wollte ihn entsetzt anstarren, aber ich lächelte!
»Gut«, sagte mein Mund. »Machen wir, dass wir aus diesem stinkenden Loch herauskommen.«
Dann war der Spuk vorüber. Als sich Howard dem Fenster zuwandte, fielen meine Mundwinkel herab und ich fühlte, wie der unheimliche Bann sich von mir löste. Rasch kletterte ich hinter Howard ins Freie.
»Howard, ich -.« Wieder überschwemmte eine unglaublich mächtige Woge mein Gehirn und spülte hinweg, was ich eben noch hatte sagen wollen.
»Ja?«
»Ach, schon gut. Es war nichts«, sagte meine Stimme leichthin. Meine Hand deutete zur Kutsche. »Rowlf wartet.«
Als wir die einspännige Droschke erreichten, beugte sich Howards hünenhafter Leibdiener vom Bock zu uns herab. »Na, wat gefundn?«, fragte er mit leiser Stimme.
»Allerdings«, gab Howard ebenso leise zurück. »Ich erzähle dir später alles. Lass uns erst einmal von hier verschwinden.«
Wir stiegen ein und ich zog die Tür hinter mir ins Schloss. Erneut war der Bann aus meinem Geist gewichen – und doch wusste ich, dass er aufs Neue über mich herfallen würde, sobald ich versuchen sollte, irgendetwas über ihn zu sagen.
Rowlf ließ
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