Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York
hinabschritt, schlug mein sechster Sinn Alarm.
Abrupt blieb ich stehen. Hier unten war irgendetwas, das konnte ich deutlich fühlen! Sekundenlang überlegte ich, ob ich Howard und Rowlf herbeirufen sollte, verwarf den Gedanken aber rasch wieder. Hier konnte sich alles mögliche vor dem Gewitter verkrochen haben; ein Straßenköter vielleicht oder eine streunende Katze. Oder ein ahnungsloser Landstreicher, der hier Quartier bezogen hatte. Ich musste mir erst Klarheit verschaffen.
Vorsichtig ging ich weiter, darauf bedacht, keinen Laut zu verursachen. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als ich in die dunklen Schatten am Ende der Treppe eintauchte.
Wieder blieb ich stehen und lauschte. Meine Sinne gaukelten mir Bewegung vor, wo keine war, ließen finstere Schemen über die Wände tanzen und leise Stimmen aus Nischen und verborgenen Winkeln flüstern.
Von oben drang das Grollen des Donners zu mir herab. Es hörte sich seltsam fremd an, wie durch eine dichte Watteschicht hindurch. Ein Blitz zuckte auf und tauchte einen kleinen Teil des Kellers für den Bruchteil einer Sekunde in grelles Licht.
Ich schrie vor Schreck auf und riss den Stockdegen hoch.
War da nicht etwas gewesen? Eine sehnige Gestalt, dicht an die Wand gelehnt? Hastig wich ich zwei Stufen zurück und tastete nach meinen Fackeln. Sollte ich es riskieren, eine davon zu entzünden? Ich musste sparsam damit umgehen und war das Magnesium erst entflammt, konnte es nicht mehr gelöscht werden.
»Halt, Robert! Ich bin’s!«
Ich fuhr zusammen und hätte im ersten Reflex fast einen Streich mit dem Degen geführt.
»Howard!«, sagte ich scharf und eine Spur zu laut. »Bist du denn wahnsinnig geworden, mich so zu erschrecken?«
Der Schatten löste sich von der Wand und kam auf mich zu. »Tut mir Leid«, sagte er. »Ich habe dich auch gerade erst erkannt. Ich dachte schon, es wäre der Golem.«
Erleichtert ließ ich die Luft aus meinen Lungen entweichen und fuhr mir über die schweißnasse Stirn. Wieder flammte ein Blitz auf und riss Howard aus der Dunkelheit.
Er war kein bisschen nervös; im Gegenteil, er lächelte!
Ich sprang die letzten Stufen hinunter und schlug ihm die Hand auf die Schulter. »Howard, ich ahnte doch, dass du keine Nerven besitzt.«
Er lachte kurz und trocken. »Sonst alles in Ordnung?«
»Natürlich. Ich …«
Da kam mir ein Gedanke. Gurk! Ich hatte ihn nicht mehr in meiner Nähe gespürt, seit er sich aus der Kutsche verzogen hatte. Vielleicht gelang es mir diesmal …
»Howard, ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen!« Es funktionierte! »Bitte unterbrich mich nicht und höre nur zu …«
In knappen Sätzen berichtete ich von dem kleinen Kobold, den ich durch mein Missgeschick aus der Flasche befreit hatte und der mir seitdem nichts als Unglück gebracht hatte. Und kein Bann stoppte meinen Redefluss, nichts hielt mich auf, bis ich Howard alles erzählt hatte!
»… und jetzt verstehst du auch, warum ich mir berechtigte Sorgen mache, ich könnte gegen den Golem versagen«, schloss ich erleichtert. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Jetzt, da Howard alles wusste, konnte er mir beistehen. Vielleicht gelang es uns sogar, den Gnom zu vertreiben.
»Hm«, machte Howard. »Und du bist sicher, dass du das alles nicht nur geträumt hast?«
»Herr im Himmel, ich sage dir doch -«
»Schon gut«, unterbrach er mich, »war nur eine Frage. Das Ganze klingt ein wenig … skurril, das musst du zugeben.«
Ich seufzte. »Gibt es eine Lösung?«, fragte ich drängend. Wer konnte sagen, wie lange ich noch frei zu reden imstande war? Wenn Gurk den »Verrat« bemerkte, konnte er mich schon im nächsten Moment das genaue Gegenteil behaupten lassen.
Howard nickte. Ich konnte die Bewegung in der Dunkelheit nur ahnen. »Es gibt eine Lösung«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Aber ich wäre reichlich bescheuert, wenn ich sie dir verraten würde.«
Der Inhalt seiner Worte erreichte mein Bewusstsein gar nicht mehr. Ich starrte nur wie gebannt auf seinen Kopf, hinter dem plötzlich längliche, sich windende Schatten auftauchten. Wie … Tentakel!
Mit einem Schrei riss ich Howard heran und stieß ihn an mir vorbei zur Treppe. Meine Phantasie malte die krakenhaften, bizarren Umrisse eines Shoggoten in die Dunkelheit des Kellers und mein Herz schlug mir bis zum Hals.
Ich hörte Howard die Stufen hinauflaufen – und auf halbem Wege stehen bleiben. Fassungslos fuhr ich herum.
»So lauf doch, Howard! Das ist ein Shog …«
Die Worte blieben mir
Weitere Kostenlose Bücher