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Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York

Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York

Titel: Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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als er glaubte, die Flamme aus Kupfer könne nicht brennen …
     
    Zurück in der Wirklichkeit, kam sie mir beinahe unwirklicher vor als der Albtraum, der die letzten Wochen und Monate meines Lebens bestimmt hatte. Ich fühlte mich verloren, wie ein hilfloser Gefangener in einer Welt, die zu bunt und zu laut, zu hektisch und zu schillernd war, um wirklich real sein zu können, zwischen Menschen gepfercht, die das rechte Maß der Dinge verloren hatten und dabei waren, sich in einem pulsierenden, überschäumenden Leben selbst aufzuzehren.
    Vom Fenster meiner Hotelsuite aus konnte ich die Straße aus großer Höhe überblicken: Die Menschen waren nicht mehr als winzige Ameisen, die mit ruckhaften Bewegungen auf den Gehsteigen und zwischen den Droschken und Fuhrwerken hin und her eilten. Was unten auf der Straße den Anschein von geregeltem Verkehr erwecken mochte, war aus der Höhe des fünfzehnten Stockwerkes betrachtet ein einziges Chaos. Die Hochhäuser, die das Stadtbild New Yorks in diesem Viertel bestimmten, erschienen mir wie finstere, ins Absurde vergrößerte Grabsteine, in denen das Leben erstarren musste.
    Nein, dachte ich, ich befand mich nicht unbedingt in einer sonderlich frohen Gemütsverfassung – was auch nicht unbedingt verwunderlich war. Nach allem, was ich erlebt und durchgemacht hatte, hatte sich mein Bewusstsein eine kleine Depression verdient. Auch der Geist braucht manchmal Phasen, in denen er ausspannen kann. Vielleicht war die Mischung aus Niedergeschlagenheit und Aggressivität, mit der ich meine Umwelt seit gut anderthalb Wochen ungewollt terrorisierte, nichts anderes als ein seelischer Muskelkater.
    Wir schrieben den 24. Juni 1886 und ich hielt mich somit schon annähernd zwei Wochen in New York auf, aber ich war mir, als ich vor dreizehn Tagen aus dem Zug stieg, nicht unbedingt wie der Sieger vorgekommen, der ich war. Sicher – ich hatte eine Schlacht gewonnen und meinen Erzfeind vernichtet – einen meiner Erzfeinde, um genau zu sein, denn an Menschen, die mir die Pest an den Hals wünschten, hatte ich wahrlich keinen Mangel –, aber der Preis, den ich dafür bezahlt hatte, war einfach zu hoch. Nein, ich hatte wahrlich keinen Grund, zu triumphieren.
    Der einzige Lichtblick in der finsteren Nacht aus Beinahe-Katastrophen und soeben-noch-mal-gut-gegangen-Seufzern war die kleine Karte, die mir der Page vor Stundenfrist auf einem Silbertablett gebracht hatte. Sie enthielt nur vier Worte: Erwarte mich um drei!, und eine Unterschrift, die noch unleserlicher war als gewohnt – aber ich wusste trotzdem sofort, wer der Absender war. Der Gestank von verbranntem Virginia-Tabak, der der Karte angehaftet hatte, war einfach unverkennbar. Der Schreiber konnte kein anderer sein als Howard.
    Nicht, dass mich die Karte überrascht hätte – letztendlich war ich hierher gekommen, um ihn zu treffen. Aber ich hatte in den letzten vierzehn Tagen vergeblich nach ihm gesucht und die Hoffnung, ihn und seinen poltrigen Leibdienerfreundkochkutscherrausschmeißer Rowlf noch einmal wiederzusehen, war mit jedem Tag, der verging, weiter gesunken. Genau genommen hätte es mich nicht einmal mehr sonderlich überrascht, wenn ich Howard niemals wiedergesehen hätte. Trotz meines scheinbaren Sieges hatte ich in den letzten Wochen und Monaten das Pech gepachtet. Und jeder, der irgendwie mit mir zu tun hatte, auch.
    Ich schüttelte die finsteren Gedanken mit Macht ab, trat endlich vom Fenster zurück und blickte noch einmal auf die Standuhr, die eine Ecke meiner Suite zierte. Ich hatte noch Zeit, eine gute halbe Stunde, aber wenn ich noch länger hier in diesem Zimmer blieb, würde mir die Decke auf den Kopf fallen. So beschloss ich, hinunter in die Halle zu gehen und dort auf Howard und Rowlf zu warten; jedoch nicht, ohne vorher noch einmal einen Blick ins Nebenzimmer zu werfen.
    Was ich sah, war dasselbe, was ich immer gesehen hatte, wenn ich in den letzten dreizehn Tagen diese Tür geöffnet und in den abgedunkelten Raum geblickt hatte – den schwachen Schimmer einer abgedeckten Gaslampe, ein sehr breites, mit kostbaren Seidendecken bezogenes Bett, und darin ein sehr schmales, grau und krank aussehendes Mädchengesicht.
    Priscylla schlief. Sie schlief jetzt fast immer. Mit unserem Eintreffen in New York schienen ihre Kräfte endgültig erschöpft zu sein. Sie lag da und schlief, öffnete nur manchmal die Augen – ohne jedoch irgendetwas von ihrer Umgebung wahrzunehmen oder wenigstens darauf zu reagieren – und das

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