Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York
Moment erkannte ich nur einen Schatten. Dann trat er auf mich zu und sein Gesicht kam ins Sonnenlicht und ich erkannte Howard. Und mein erfreuter Ausruf blieb mir im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken.
Es war Howard, obgleich ich im allerersten Moment selbst daran zweifelte – aber wie hatte er sich verändert!
Howard war schon immer sehr schlank gewesen, ein asketisch wirkender Mann, der jedoch pedantisch auf sein Äußeres achtgab. Jetzt wirkte er wie eine um zweihundert Pfund leichtere Version Rowlfs.
Sein Gesicht war so eingefallen, dass es einem Totenschädel glich. Die Augen darin blickten mich mit müdem Schmerz an und seine Haut hatte einen krankhaften, wächsernen Schimmer. Er hatte Fieber, das war unübersehbar. Seine Hände, auf die er immer besonders geachtet hatte, waren blutig von schwerer Arbeit und dunkel von Schmutz, der sich zu tief hineingegraben hatte, um sich noch herunterwaschen zu lassen. Seine Kleider bestanden aus Fetzen.
»Mein Gott, Howard, was … was ist geschehen?«, stammelte ich.
Howard lächelte. »Hat Rowlf dir das nicht erzählt?«
Ich schüttelte den Kopf und blickte hilflos von Rowlf zu Howard und wieder zurück.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Howard mit einem traurigen, sehr schwach klingenden Seufzer. »Ich erzähle sie dir gerne. Aber vorher …« Er stockte. Plötzlich wirkte sein Lächeln verlegen. »Ich hätte eine Bitte.«
»Welche?«
»Wäre es dir möglich, Rowlf und mich zu einer heißen Suppe einzuladen?«, fragte er. Und noch während ich ihn mit offenem Mund anstarrte, klaubte er einen zerknautschten Zigarrenstummel aus dem Hemd, der seinem Aussehen nach mindestens schon ein dutzend Mal angeraucht und immer wieder säuberlich gelöscht worden war, und lächelte noch ein wenig breiter. »Und vielleicht zu einer Zigarre?«, fügte er schüchtern hinzu.
Nebel war aufgekommen, obwohl gar nicht für die Jahreszeit üblich, und es war viel zu kalt. Die beiden Sturmlaternen, die Straub vorsichtshalber an Bug und Heck des kleinen Hafenkutters aufgehängt hatte, waren nur noch als verschwommenes gelbes Blinzeln in unbestimmbarer Entfernung zu erkennen und die grauen Schwaden, die sich beharrlich über das niedrige Deck des Bootes wälzten, tränkten alles mit kalter klammer Feuchtigkeit.
Straub schauderte, zog den Kragen seiner Jacke enger zusammen und nippte an dem heißen Tee, den er sich aufgebrüht hatte. Nicht einmal das beinahe noch kochende Getränk vermochte die Kälte wirklich aus seinem Inneren zu vertreiben. Und die Nervosität schon gar nicht.
Das Schlimme war, dass Straub nicht einmal wusste, warum er nervös war. Es gab keinen Grund dazu. Solange der Nebel nicht aufriss, lag das Boot sicher vertäut am Kai und die beiden Lampen dienten nur seiner eigenen Beruhigung – keines der großen Schiffe würde sich bei derartig schlechten Sichtverhältnissen auch nur einen Inch von der Stelle rühren. Eigentlich hätte er allen Grund gehabt, sich auf eine zwar langweilige, aber nichtsdestotrotz geruhsame und vor allem bezahlte Freischicht zu freuen.
Aber irgendetwas beunruhigte ihn; ein sonderbares Kribbeln, wie die Ahnung von etwas Kommendem.
Straub runzelte die Stirn, verwirrt und gleichzeitig ein bisschen erschrocken über seine eigenen, abwegigen Gedanken, nippte abermals an seinem Tee und kippte nach kurzem Zögern einen kräftigen Schuss geschmuggelten Whisky in die Tasse. Danach schmeckte das Getränk schon weitaus besser. Wenn es auch seine Nervosität nicht merklich dämpfte.
Draußen auf dem Schiff polterte etwas.
Straub blickte misstrauisch auf, stellte sich auf die Zehenspitzen, um das Vorderdeck von seiner Position hinter dem festgestellten Ruder besser übersehen zu können, und versuchte die grauen Schwaden mit Blicken zu durchdringen. Aber er sah nichts außer Nebel und dem Licht der Lampe und noch mehr Nebel, der ihm Bewegung vorgaukelte, wo keine war.
Das Poltern wiederholte sich.
Behutsam stellte Straub die Tasse mit dem brühheißen Getränk ab, zog die Schultern zusammen und trat schaudernd in die Kälte hinaus, die auf dem ungeschützten Vorderdeck des kleinen Schiffes herrschte. Nebel hüllte ihn ein wie Millionen körperloser grauer Hände und die Kälte begann sofort durch seine Kleider zu kriechen. Er spürte erst jetzt, wie warm es trotz allem noch im Ruderhaus gewesen und wie kalt es hier war.
Und das Geräusch wiederholte sich nicht. Eigentlich mehr als Grund genug, überlegte Straub, in sein
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