Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York
Handrücken über die Nase.
»Klar doch, Jack, klar doch«, antwortete sein Kumpan und sah sich gehetzt um. »Die haben die Alte mitsamt ihren Brillanten verscharrt. Hab’ ich aus ganz sicherer Quelle.«
Die beiden Männer hatten ihre Stimmen zu einem Flüstern gesenkt, obwohl sie hier gewiss niemand hören konnte. Höchstens die Ratten, die zwischen den Gräbern auf Beutejagd waren. Der Saint John Cementary lag still und einsam da; totenstill, gewissermaßen. Vor einer halben Stunde hatte der Friedhofswärter seine Runde gemacht – für die nächsten drei Stunden hatten sie Ruhe vor dem alten Archie. Vielleicht sogar länger; das kam ganz darauf an, wie lange sein Vorrat an billigem Fusel vorhielt, mit dem er sich die Zeit und Sorgen in seinem baufälligen Bretterverschlag vertrieb.
Die Nacht war kühl und feucht und der Vollmond gab so viel Licht, dass die beiden auf die mitgebrachte Laterne verzichten konnten. Smiley Johnson reckte seine rattenköpfige Visage in die Nachtluft und schnupperte. Er war lang und dürr und seinen Rücken zierte ein ansehnlicher Buckel. Er sah tatsächlich einer Ratte ähnlicher als einem Menschen. Das hatte mit den Jahren wohl auch auf seinen Charakter abgefärbt.
»Okay, die Luft ist rein. An’s Werk, Jack, an’s Werk.« Er rieb sich die sehnigen Hände und kicherte. »Die Steinchen werden uns ganz hübsch was einbringen, sag ich dir. Old Fitz meint, dass -«
»Quatsch hier keine Opern«, zischte Jack Mulligan ärgerlich. »Wenn Fitzgerald dir einen Bären aufgebunden hat, kann er seine Knochen von der Straße auflesen. Und die deinen gleich mit«, fügte er grinsend hinzu.
Smiley fuhr zusammen. »Nein, nein, Jack«, beeilte er sich zu sagen, »Old Fitz belügt seinen alten Kumpel Smiley doch nicht, nein, das tut Old Fitz nicht. Ich sage dir, da unten warten mindestens fünfhundert Pfund auf uns! Mindestens!«
»Dann woll’n, wir sie mal nicht allzu lange warten lassen.« Jack spuckte in die Hände und griff zum Spaten. In seinen riesigen Pranken sah er fast wie ein Spielzeug aus. »Räum das Grünzeug weg!«
Smiley Johnson wieselte um das Grab herum und zerrte die Kränze herunter. Dann zog er das Holzkreuz aus der noch lockeren Erde. »Baroness Elizabeth of Wollcram«, las er mit höhnischer Stimme. »1805 bis 1886 – Der Herr gibt, der Herr nimmt … Da sollten wir uns doch glatt ein Beispiel dran nehmen, was, Jack?« Er kicherte blöde, klaubte eine weiße Rose aus einem der Gebinde und steckte sie sich ans Revers.
Jack »The Fox« Mulligan antwortete nicht. Er trieb das Blatt des Spatens in das Erdreich und fegte die ersten Krumen zur Seite. Seine Zunge huschte gierig über die fetten Lippen. Die Sache hier war ein Kinderspiel. Und sie würde eine Menge Moneten einbringen – achtzig Prozent für ihn, zwanzig für Smiley. Die Ratte hatte zwar noch keine Ahnung davon, aber Jack Mulligan besaß überzeugende Argumente. Und schlagkräftige.
Von Westen her wehten die Glockenschläge des Big Ben herüber. Smiley lauschte. »Zwei Uhr, Jack. Ich mache mal ’ne Runde. Lass dich nicht stören.«
»Fauler Hund«, knurrte Mulligan und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Im Geiste erhöhte er seinen Anteil auf fünfundachtzig Prozent. »In fünf Minuten bist du wieder hier und löst mich ab«, knurrte er. »Ist das klar?«
»’türlich, Jack. Fünf Minuten.« Smiley tippte sich mit zwei Fingern an den Rand seiner Schiebermütze und schlug den Mantelkragen hoch. Dann verschwand er in der Dunkelheit zwischen den Gräbern.
Kaum war er außer Sichtweite, kramte er in seinen Taschen herum und zog einen Zigarettenstummel und ein Zündholz hervor. Er ratschte es über einen Grabstein und schirmte die Flamme mit beiden Händen ab, als er die Kippe entzündete. Gierig sog er den Rauch in seine Lungen.
»Scheiß-Job«, fluchte er leise. »Dieser Mulligan ist ’n krummer Hund. Der bringt’s glatt fertig und haut mich über’s Ohr. Muss höllisch aufpassen. Scheiß-Job, das.« Er warf das Zündholz zu Boden und trat es aus. Dann setzte er sich wieder in Bewegung.
Der Friedhof lag still und tot vor ihm. Nur die verkrüppelten Trauerweiden wiegten sich im Nachtwind und sangen ihr ewiges Lied. In der Ferne schrie ein Nachtvogel. Von den nahen Docks klang das Nebelhorn eines Kutters auf. Verdammter Nebel, verdammter! Ratten mögen keinen Nebel. Smiley blieb einen Moment stehen und sah sich um. Unheimliche Schatten tanzten zwischen den Gräbern und niedrigen Büschen; Schatten,
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