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Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!

Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!

Titel: Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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war die Farbe bereits verblichen und in einer Ecke hatte eine Spinne ihr Netz so gewoben, dass es auch einen Teil von Roderick Andaras Gesicht bedeckte.
    Nur ein Bild, hämmerte er sich ein. Nur ein Bild, nicht mehr.
    Aber ganz sicher war er nicht.
     
    Es war wie das Erwachen aus einem entsetzlichen Albtraum, dem ein anderer, noch schlimmerer folgte, der Wirklichkeit hieß.
    Der Henker von London trug kein wallendes rotes Gewand und keine Kapuze, sondern eine etwas schäbige dunkle Hose und eine dunkelgraue Jacke mit Lederflicken auf den Ärmeln. Sein Gesicht war teigig und nichtssagend; eigentlich sah er nicht aus wie ein Henker, sondern eher wie ein biederer Handwerker, der sich gerade daran machte, ein paar Schuhe zu besohlen oder eine Kupferkanne zu löten. Nicht wie jemand, der vorhatte, einen Menschen nach allen Regeln der Kunst vom Leben zum Tode zu befördern.
    Wahnsinn!, dachte ich. Das alles ist Wahnsinn! Nicht einmal die Berührung an meiner Schulter schien mir real, als der Henker mit geübtem Blick Maß nahm und seinem Gehilfen zurief, den Strick kürzer zu nehmen. »Muss alles seine Ordnung haben«, sagte er fachmännisch gelassen.
    »Hören Sie mit dem Unsinn auf, Walters!«, sagte Cohen streng. »Bringen wir es endlich hinter uns, damit ich zu meinem Frühstück komme.« Der Henker runzelte die Stirn, ohne übermäßig schuldbewusst auszusehen, sagte jedoch kein Wort mehr, sondern konzentrierte sich ganz darauf, eine Schlinge auf die passende Größe zurechtzuziehen.
    Allmählich begann der kleine Raum vor meinen Augen zu verschwimmen. Ich fühlte mich …
    Es ist unmöglich, zu beschreiben, was ich in diesem Moment wirklich empfand. Ich hatte keine Angst, sondern spürte im Gegenteil eine hysterische, immer stärker werdende Heiterkeit. Alles wirbelte in meinem Kopf durcheinander: die Verhandlung, die folgende Nacht, die ich in Ketten in einer winzigen feuchten Zelle verbracht hatte, der Morgen, die Henkersmahlzeit, der Besuch des Geistlichen … Ich war überzeugt davon, dass alles nur ein Albtraum sein konnte. Gleich würde ich aufwachen oder die Tür würde aufgehen und Howard und Rowlf hereinkommen und mir erklären, dass alles nur ein böser Streich gewesen war, oder …
    Eine Hand legte sich schwer auf meine Schulter. Ich schrak hoch und starrte in das nichtssagende Gesicht des Henkers. »Kommen Sie«, sagte er. »Es ist soweit.« Meine Beine setzten sich wie von selbst in Bewegung und trugen mich die Treppe zum Galgen empor. Die Stufen vibrierten unter meinen Füßen. Das monotone klack-klack meiner Schritte hallte wie dumpfe Trommelschläge in meinen Ohren wider. Meine Augen waren gebannt auf die leicht im Wind schwingende Schlinge gerichtet.
    Ich würde sterben!, dachte ich hysterisch. Jetzt!
    Der Henker drehte mich herum und warf mir das Seil um den Hals. Er kontrollierte den Sitz der Schlinge mit pedantischer Genauigkeit und zog den Knoten zurecht, während ich wie betäubt auf Cohen und das halbe Dutzend Zeugen herabstarrte, die am Fuße des Galgens standen.
    »Es ist soweit, Mister Craven«, sagte Cohen kalt. »Haben Sie noch einen letzten Wunsch?«
    Ich wollte etwas sagen – ganz gleich was, nur irgendetwas, um noch ein paar Sekunden zu gewinnen, noch einige kostbare Augenblicke länger am Leben zu bleiben, aber meine Stimmbänder versagten mir den Dienst und so schüttelte ich nur den Kopf.
    Cohen nickte, als hätte er nichts anderes erwartet.
    »Dann möge Gott Ihrer Seele gnädig sein, Mister Craven«, sagte er ruhig. Und fügte hinzu: »Henker von London, tu deine Pflicht.«
    Seine Worte drangen wie aus weiter Ferne an mein Bewusstsein. Ich sah nach oben und starrte gegen die fleckige Decke und absurderweise verspürte ich nichts als ein tiefes Bedauern, nicht darum gebeten zu haben, den Sonnenaufgang noch einmal sehen zu dürfen. Jetzt war es zu spät.
    Ich fühlte mich plötzlich so leicht wie eine Feder; fast schwerelos. Alle meine Gedanken wirbelten um Howard und Priscylla und um das Haus am Ashton Place. Als der Henker den Hebel ergriff und mit einem kräftigen Ruck daran zog, war es für mich nicht mehr als die Bewegung eines undeutlichen Schattens. Ich spürte nicht einmal, wie der Boden unter meinen Füßen wegsackte, nur einen kurzen Moment wirklicher Schwerelosigkeit – und dann für einen noch kürzeren Moment den absurden Gedanken, dass ich irgendwo einmal gelesen hatte, hängen solle ein sehr angenehmer Tod sein.
    Aber das stimmte nicht.

 

     
     
    »Er ist tot,

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