Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!
worden. Ein Pfeil hatte seinen Hals durchbohrt und seinem Leben ein Ende gesetzt.
Henry Baskerville kratzte sich nachdenklich am Kinn, als er auf den Toten hinabblickte. Der Mann war kein Araber gewesen, sondern ganz eindeutig ein Europäer, doch seine Kleidung war so bizarr, dass Baskerville sich zu dieser Schlussfolgerung nur mühsam durchringen konnte. Er trug einen weißen, weit geschnittenen Umhang, auf dessen Brustteil ein rotes, gleichschenkliges Balkenkreuz prangte. Auf dem Kopf trug er einen metallenen Helm und in einer Scheide an seiner Seite steckte ein Schwert. Baskerville war ein gebildeter und belesener Mensch und nach den ersten Sekunden der Verwirrung dämmerte es ihm, wen er hier vor sich hatte.
Der Tote war ein Templer. Ein Angehöriger jenes sagenumwobenen geistlichen Ritterordens, den die Kreuzfahrer Anfang des zwölften Jahrhunderts gegründet hatten.
Eine gewisse Ehrfurcht überkam Henry Baskerville, als er sich bewusst wurde, dass der ehemalige Tempelherr wahrscheinlich seit mehr als achthundert Jahren hier lag, in seinem sandigen Grab gefangen …
Er sah auf und wandte sich wieder an Chalef, der den Toten nach wie vor mit starrem Blick und offenkundigem Entsetzen betrachtete. Fast so, fuhr es Baskerville durch den Sinn, als befürchte er, der Templer könne jeden Augenblick von den Toten auferstehen und ihm an die Gurgel fahren.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er. »Der Mann ist seit vielen Jahrhunderten tot.«
»Seit vielen Jahrhunderten?«, wiederholte Chalef fast tonlos. Dann schüttelte er bedächtig den Kopf. »Nein, er ist vielleicht erst vor wenigen Tagen oder …« Er brach ab und blickte sich gehetzt nach allen Seiten um, wobei sich der angstvolle Ausdruck in seinen Zügen noch verstärkte.
Henry Baskerville lachte. Erst jetzt wurde ihm klar, dass sein Diener keine Furcht vor dem Toten hatte, sondern vor demjenigen, der den Templer einst ermordet hatte. Dass dieser Mörder ebenfalls schon vor Jahrhunderten das Zeitliche gesegnet haben musste, begriff er in seiner Einfalt gar nicht.
»Ja, pass nur gut auf«, spottete Baskerville, noch immer lachend. »Vielleicht sitzt der Killer … da oben?« Er deutete zum Gipfel der Düne empor, die gut dreißig Yards in die Höhe ragte.
Chalef folgte dem Blick seines ausgestreckten Zeigefingers. Offenbar hielt er es tatsächlich für möglich, dass dort oben jemand lauerte, der seinen Pfeil schon auf die Bogensehne gelegt hatte und bereit war, ihn jeden Augenblick losschnellen zu lassen.
Baskerville achtete nicht weiter auf seinen Diener. Der Tempelherr interessierte ihn im Augenblick ungleich mehr. Er ging in die Knie und beugte sich zu dem mumifizierten Gesicht des Toten herab. Natürlich war kein Leichengeruch wahrzunehmen, was er nach achthundert Jahren wohl auch kaum erwarten konnte. Er wagte nicht, den Leichnam zu berühren. Nicht etwa, weil er Ekel oder gar Angst davor verspürt hätte. Nein, seine Bedenken waren rein wissenschaftlicher Natur. Er konnte nicht ausschließen, dass der Mumifizierte bei einer Berührung zu Staub zerfiel. Und das wäre ihm wie ein Sakrileg erschienen. Seit unvorstellbar langer Zeit hatte der Tempelritter körperlich nahezu unversehrt hier im Wüstensand geruht und Baskerville wollte nicht die Ursache dafür sein, dass dieser Zustand ein so abruptes Ende fand. Dennoch drängte es ihn danach, irgendetwas von dem Toten in seinen Besitz zu bringen, diesmal allerdings nicht so sehr aus wissenschaftlicher Neugier, sondern mehr aus dem Wunsch heraus, ein Souvenir zu bekommen, das ihn nach der Rückkehr in sein Heimatland England an diese ungewöhnliche Begegnung erinnern würde.
Von den furchtsamen Blicken Chalefs begleitet, streckte er die rechte Hand aus, um nach dem Schwert des Templers zu greifen. Wenn es ihm gelang, die Klinge ganz vorsichtig aus der Scheide zu ziehen …
Schnell merkte er, dass das Schwert festsaß. Er würde Gewalt anwenden müssen, um es aus der Scheide zu lösen, und den Toten dabei letzten Endes wohl doch in ein Häufchen Staub verwandeln. Er ließ von der Waffe ab und überlegte noch, ob er das Risiko eingehen sollte, als sein Blick auf einen kleinen, eigenartig geformten Gegenstand fiel, der halb unter dem Umhang des Tempelherren verborgen lag. Ohne zu zögern griff Baskerville nach dem Ding und zog es unter dem brüchigen Stoff hervor.
Es war eine … Rose! Eine Rose aus Sand!
Verblüfft zog Henry Baskerville die Augenbrauen hoch. Was für eine seltsame Laune der
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