Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!
Natur war dies? Wie hielt die Rose zusammen? Als er sie in die Hand nahm, hätte sie zwischen seinen Fingern zerbröckeln müssen. Aber davon konnte keine Rede sein. Obgleich er keinen Moment daran zweifelte, dass sie tatsächlich aus purem Wüstensand bestand, war ihre Struktur so fest gefügt, als würde es sich bei dem Material um soliden Fels handeln. Und als Baskerville die Rose mit aller Kraft zusammenpressen wollte, stöhnte er vor ungläubiger Überraschung auf. Die Form des Objekts veränderte sich nicht um den Bruchteil eines Zolls! Allenfalls seine Finger schmerzten – ganz so, als habe ihn die Rose gestochen.
Baskerville wandte sich seinem Diener zu. »Chalef, hast du eine Ahnung, was es mit diesem Ding hier auf sich hat?« Er hielt dem Araber die Sandrose hin.
Chalef zuckte zurück, als würde ihm eine hochgiftige Viper entgegenzüngeln. Die Angst in seinen Zügen schien sich noch zu steigern. Er murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und machte mit der Hand eine Gebärde, die wohl sinngemäß dem Kreuzzeichen eines Christen entsprach.
»Was?«, fragte Henry Baskerville leicht gereizt. Die völlig unbegründete Furcht seines Dieners ging ihm langsam aber sicher auf die Nerven.
»Sill el Mot«, flüsterte Chalef.
»Sill el … was?«
»Sill el Mot«, wiederholte Chalef nur. Er schien sich nicht weiter über dieses Thema auslassen zu wollen.
Die Arabischkenntnisse Baskervilles waren ziemlich unterentwickelt. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte er ja auf die Dienste eines einheimischen Dieners zurückgreifen müssen. Mit dem Begriff »Sill el Mot« konnte er nicht das Geringste anfangen.
»Wer oder was soll das sein?«, erkundigte er sich.
Wieder murmelte Chalef etwas vor sich hin, das unverständlich blieb. Und Henry Baskerville war eigentlich auch gar nicht mehr interessiert daran, was sein Diener da zum Besten gab. Die Angst Chalefs, die nur von albernem Aberglauben genährt werden konnte, ärgerte ihn über alle Maßen.
»Bau das Zelt weiter auf«, wies er den Araber mit scharfer Stimme an, steckte die geheimnisvolle Sandrose in die Tasche und ging dann wieder zu den Pferden hinüber, um sie weiter zu tränken.
Eine gute halbe Stunde später hatten die beiden Männer ihr Abendessen verzehrt und sich im Zelt zum Schlafen niedergelegt. Was nicht etwa bedeutete dass sie wirklich hätten einschlafen können. Baskerville hörte, wie sich Chalef unruhig auf seiner Decke hin und her warf, glaubte ein paar Mal sogar ein Zähneklappern seines Dieners wahrnehmen zu können. Doch auch er, das musste er sich selbst widerwillig eingestehen, fühlte sich mittlerweile unbehaglich. Immer wieder kreisten seine Gedanken um den toten Tempelritter draußen vor dem Zelt. Und um den geheimnisvollen roten Blitz. Wenn er recht darüber nachdachte, musste er zwangsläufig zu der Erkenntnis gelangen, dass er und Chalef ohne diesen Blitz niemals auf den mumifizierten Leichnam gestoßen wären. So albern er auch war – der Gedanke, dass vielleicht doch eine höhere Macht am Werk gewesen war, wurde für Henry Baskerville zur fixen Idee.
Schließlich, nach Stunden unruhigen Wachens, glitt er doch noch in die dunklen Gefilde des Schlafes hinab. Aber auch noch im Halbschlaf wurde er die Vorstellung nicht los, dass ihn die toten Augen des Templers durch die Zeltwände hindurch drohend anstarrten.
London machte seinem schlechten Ruf wieder einmal alle Ehre. Der Himmel hatte all seine Schleusen geöffnet. Es goss zwar nicht in Strömen, wohl aber in Form jenes penetranten Nieselregens, der einem das ständige Gefühl gab, unversehens in ein klebriges, kühles Dampfbad geraten zu sein. Nebelschwaden trieben durch die Straßen und ließen Passanten und Pferdekutschen zu huschenden grauen Schemen werden. Düstere Wolken verbannten den Gedanken, dass es so etwas wie eine Sonne überhaupt gab, ins Reich der Legende.
Warum es mich ausgerechnet an diesem unfreundlichen Tag aus meinem Haus am Ashton Place getrieben hatte, wusste ich selbst nicht. Wahrscheinlich hatten die Geschehnisse der letzten Woche nicht gerade dazu beigetragen, Andara-House in mein Herz zu schließen. Obgleich das Haus mir das Leben gerettet hatte, war ich von dem Gedanken beseelt, seine düsteren Mauern für einige Zeit zu verlassen und durch die Straßen zu wandern.
London ist eine riesige Stadt. Ich lebte noch nicht lange genug hier, um jederzeit auf Anhieb sagen zu können, in welchem Teil der Millionenstadt ich mich befand. Ich hatte mich
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